Stuttgarter Neckarstraße geräumt

Sondereinsatzkommando stürmt zwei besetzte Wohnungen / 47 Personen festgenommen / Sympathisanten wegen „gefährlichen Eingreifens in den Straßenverkehr“ eingekesselt und festgenommen / BI kämpft weiter  ■  Aus Stuttgart Hartmut Zeeb

Nach mehr als zwei Wochen hat die Polizei mit einem massiven Aufgebot gestern früh die beiden besetzten Wohnungen in der Stuttgarter Neckarstraße Nummer 79 geräumt. Insgesamt wurden 47 Personen vorläufig festgenommen. Trotz zahlreicher Solidaritätserklärungen von seiten des linken politischen Spektrums hat sich das staatliche Liegenschaftsamt des Landes Baden-Württemberg nicht davon abbringen lassen, beim Ordnungsamt die Räumung zu beantragen. Bereits seit Mitte der vergangenen Woche stand die Neckarstraße unter ständiger polizeilicher Observierung. Vorausgegangen war eine Aktion aus dem Umkreis der Hausbesetzer, bei der Farbbeutel gegen das Nobelhotel Interconti geschleudert worden waren, während dort die Firma Porsche eine Jubiläums-Werbeshow veranstaltete. Seit diesem Zeitpunkt zog sich auch die bürgerliche Stuttgarter Presse, die sich bis dahin den wohnungspolitischen Forderungen der Besetzer gegenüber recht aufgeschlossen gezeigt hatte, auf eine distanzierte Haltung zurück. Spätestens am Wochenende war allen Beteiligten klar, daß die Räumung nur noch eine Frage von Tagen sein würde.

Gestern früh um 7.30 Uhr fuhr dann ein weißer Transporter vor, ein Sondereinsatzkommando stürmte das Gebäude. Unmittelbar darauf folgte eine Hundertschaft Landespolizei auf zehn Wannen verteilt. Die gesamte Neckarstraße wurde in beiden Richtungen gesperrt. Trotz des massiven Aufgebots benötigte die Polizei mehr als eine halbe Stunde, um bis in die Wohnung im zweiten Stock vorzudringen, in der sich die anwesenden Besetzer verbarrikadiert hatten. Das polizeiliche Vorgehen wurde vor allem auch durch die Tatsache erschwert, daß im selben Haus noch mehrere Wohnungen legal vermietet sind. Zum befürchteten brutalen Vorgehen durch das SEK kam es indes nicht. 21 BesetzerInnen (elf Frauen und zehn Männer im Alter von 19 bis 39 Jahren) wurden vorläufig festgenommen. Sie müssen nun mit Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs rechnen.

Während der Räumung war es der in einem Nachbargebäude untergebrachten BI für den Erhalt der Neckarstraße über eine Telefonkette gelungen, mehrere Dutzend Menschen zu mobilisieren. Diese wurden auf der Straße eingekesselt, 26 davon zur erkennungsdienstlichen Behandlung festgenommen. Nach Angaben eines Sprechers der Landespolizeidirektion wird ihnen „gefährliches Eingreifen in den Straßenverkehr“ und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Wann mit ihrer Freilassung zu rechnen ist, war bis Redaktionsschluß nicht zu erfahren.

Unter den dezimierten MitarbeiterInnen des BI-Büros herrschte am späten Vormittag zwar eine frustrierte Stimmung, den Kampf um den Erhalt der Neckarstraße wollen sie aber keineswegs aufgeben. Die Erfahrung der ausschließlich positiven Resonanz bei den von der Kündigung bedrohten Nachbarn wird als zusätzliche Legitimierung für weitere Aktionen gewertet.