: Abschottung nach Osten
Berlin (taz) - „Natürlich ist das kein zuverlässiger Schutz, daß sie nicht mehr kommen“, gesteht der Sprecher des Auswärtigen Amts in Bonn offen ein, „aber man hofft doch, daß man einen nennenswerten Anteil von Polen dadurch abschrecken kann.“ „Abschreckung“, dieses gerade in Bezug auf das sensible deutsch-polnische Verhältnis schreckliche Wort, ist aber kaum die einzige Intention, die die Bundesregierung mit ihren neuen Einreisebestimmungen für Polen verfolgt. Denn mindesten genauso, wie auf die reise und ausreisewilligen Polen, zielen die geplanten Maßnahmen auf das bundesdeutsche Wahlvolk. Ihm mußte das Bundeskabinett nach der Osterpause Handlungsfähigkeit demonstrieren.
Aktivität war mit den neuen Einreisbeschränkungen zwar vorgeführt, doch schon in einigen Monaten wird sich zeigen, mit welch heißer Nadel diese Maßnahmen gestrickt sind: Polnische Aussiedler, die sich auf eine deutsche Abstammung berufen, werden von der Bonner Regelung nicht betroffen sein. Sie können künftig sogar mit einem Dauervisum unbeschränkt in den „goldenen Westen“ ein- und ausreisen. Auch Asylbeweber, die allein im letzten Jahr 30.000 der polnischen Zureisenden ausmachten, dürfen weiterhin nicht an der bundesdeutschen Grenze zurückgewiesen werden, auch wenn sie die geforderten 50 Mark nicht vorweisen können. Bleibt eine dritte Gruppe, die von der Bundesregierung als Hauptzielgruppe der neuen Einreisebeschränkungen deklariert wird: die „Polen, die hier überall herumfahren und wo auch immer illegale Beschäftigung aufnehmen“ (so der Originalton aus dem Auswärtigen Amt). Doch gerade diese sogenannten Schwarzarbeiter und Händler können leicht die geforderten 50 Mark pro Tag bei der Einreise an der Grenze vorlegen.
Diejenigen jedoch, die den geforderten Devisennachweis nicht erbringen können oder wollen, werden künftig allein auf eine Einladung von Freunden und Verwandten angewiesen sein. Dabei sollen künftig sowohl sie selbst als auch ihre Gastgeber vor einer Visumbewilligung überprüft werden. Diese Überprüfung wird allein in der Bundesrepublik stattfinden und soll den Ausländerbehörden überlassen bleiben. Eine Abfrage in der riesigen Datenbank des Ausländerzentralregisters soll dabei ermitteln, ob der polnische Gast in der Bundesrepublik erwünscht ist oder ob er etwa durch Schwarzarbeit, Gesetzesverstöße oder Verkehrsdelikte aufgefallen ist. Darüber hinaus sollen auch die Gastgeber künftig unter die Lupe genommen werden. Nach den bisher bekannt gewordenen Plänen werden dabei die örtlichen Ausländerämter nicht nur prüfen, ob die Einladenden ordnungsgemäß in der Bundesrepublik gemeldet sind.
In der Diskussion ist auch, daß sie bei der Ausländerbehörde Rechenschaft darüber ablegen müssen, ob ihre Wohnverhältnisse und ihr Bankkonto tatsächlich erlauben, einen polnischen Gast aufzunehmen und zu bewirten. Die genauen Modalitäten dieser im gesamten westeuropäischen Raum wohl einmaligen Überprüfung will zwar erst die Länderinnenministerkonferenz am kommenden Donnerstag festlegen. Doch, so erklärt ein Sprecher des Außenministeriums schon jetzt, er könne sich auch denken, daß auf Leute, die sehr häufig polnischen Gästen mit einer Einladung zu einem Einreisevisum ohne Devisennachweis verhelfen, „ein Auge geworfen wird“. Ob das nicht die Gastfreundschaft einschränke und eine Normalisierung deutsch -polnischer Beziehungen verhindere? Nein, nein, da ist man im Auswärtigen Amt ganz zuversichtlich, abgeschreckt würden dadurch nur die, „die was im Dunkeln lassen wollen.“
Auch wenn die Bonner Einreisebeschränkungen für Polen in der Praxis kaum greifen werden und letztendlich nur Dokument hilfloser Pragmatik sind, so sind sie dennoch eine politische Geste. Denn ähnliche Reisebeschränkungen gegenüber Franzosen, Niederländern oder Briten wären schlichtweg unvorstellbar. Doch die Reisebeschränkungen passen in eine Linie: Zur selben Zeit, wo die Grenzen gen Westen gänzlich fallen sollen und Europa das bevorzugte Thema von Tagungen und Kongressen ist, setzt die Bundesrepublik stellvertretend für die west-europäischen Partner Grenzstein auf Grenzstein gen Osten. Europa, so scheint es, hört ganz selbstverständlich an der bundesrepublikanischen Ostgrenze auf.
Erste Berührungsängste bei dieser Grenzziehung gen Osten hat die Bundesregierung verloren, als sie 1986 die DDR dazu brachte, das Asylschlupfloch Berlin zu schließen. Auch damals ging es der Bundesregierung um Wählerstimmen und um eine vermeintliche „Überfremdung“. Heute steht neben den neuen Einreisebeschränkungen für Polen auch ein Visumzwang für jugoslawische Staatsbürger auf der Tagesordnung. Bis Ende Mai soll, mit Billigung der Bundesregierung, die jugoslawische Regierung, vor der Asylbewerber ja angeben zu fliehen, den „Asylantenstrom“ eindämmen. Wenn die Zahl der Flüchtlinge bis dahin nicht gesunken ist, heißt es dann auch für Jugoslawen: Grenze dicht!
Vera Gaserow
D O K U M E N T A T I O N
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