„Eine vernünftige Antwort steht bis heute aus!“

■ Interview mit Heribert Heuß, Sekretär des Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg: Kritik am Verein „Perspektive Berlin“, der das geforderte Mahnmal an den Völkermord der Nazis allein auf die Juden bezieht / Gegen die „Hierarchisierung der Opfer“

taz: Sie werfen dem Verein „Perspektive Berlin“ indirekt vor, den nationalsozialistischen Völkermord an den 500.000 Sinti und Roma schlichtweg ausgegrenzt zu haben, als er die zentrale Gedenkstätte forderte. Hat es keine Gespräche zwischen der „Perspektive Berlin“ und dem Zentralrat gegeben?

Heribert Heuss: Wir sind von der Anzeige der „Perspektive Berlin“ erstmal überrascht worden. Es hat von unserer Seite aus mehrere Schreiben an diesen Verein gegeben, Romani Rose hat auch mit Lea Rosh telefoniert. Aber bis heute steht eine vernünftige Antwort der „Perspektive Berlin“ aus.

Frau Rosh, die stellvertretende Vorsitzende des Vereins, hat selbst schon Filme über die Verfolgung der Sinti und Roma gemacht. Wie erklären Sie sich denn jetzt diesen Konflikt?

Die Frage nach dem Konflikt können wir nicht beantworten. Zwei Dinge sind für uns wichtig, die wir festhalten wollen: Das Gelände, um das es geht, ist kein beliebiges Gelände. Dort stand das Reichssicherheitshauptamt, von da aus wurde der Völkermord an den Sinti und Roma und den Juden organisiert. Es gibt keinen Unterschied in der Art des Völkermordes. Das waren die beiden einzigen Gruppen, die aus rassischen Gründen verfolgt worden sind. Das heißt: Die bloße biologische Existenz war der Grund für die Verfolgung, vom Kleinkind bis zum Greis. Es geht nicht an, wenn man ein Mahnmal für die Opfer des Völkermordes fordert, da in Verfolgte erster und zweiter Klasse zu unterscheiden.

Das zweite ist die Frage nach der Einmaligkeit des Völkermordes, die hier von der „Perspektive Berlin“ gestellt wurde. Die Verbindung von rassisch begründeter Aussonderung und fabrikmäßiger Ermordung von Minderheiten bezeichnet die Einmaligkeit der nationalsozialistischen Völkermordverbrechen in der Geschichte. Die Frage nach der Einmaligkeit kann sich deshalb nur auf diese Völkermordverbrechen der Nazis an den Juden, den Sinti und Roma beziehen.

Es hat ähnliche Auseinandersetzungen auch 1985, zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, gegeben. Da wurden bei vielen offiziellen Veranstaltungen die Sinti und Roma schlichtweg vergessen. Hat denn in den letzten vier Jahren keine Sensibilisierung stattgefunden?

Ich meine schon. Zumindest ist die Tatsache des Völkermordes in der Öffentlichkeit breit bekannt, die Bundesregierung hat den Völkermord an den Sinti und Roma anerkannt, der Bundestag hat sich dazu geäußert. Es wäre jetzt absolut unverständlich, wenn man auf einen Diskussionsstand von vor 15 Jahren zurückfiele und die Verbrechen der Nazis allein auf den Völkermord an den Juden reduzieren wollte. Es ist vollkommen berechtigt, ein solches Mahnmal zu fordern, nur darf es da keine Unterscheidungen geben.

Welchen politischen Hintergrund hat dieser Konflikt Ihrer Ansicht nach?

Ich nehme an, daß der Hintergrund für die „Perspektive Berlin“ in dieser Angelegenheit der „Historikerstreit“ war, in dem ja sehr ungute Positionen entstanden sind, die auf eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen ausgerichtet waren, um die Täter zu entlasten. Zu recht setzt sich die Perspektive Berlin mit solchen Positionen auseinander, und es gibt hierzu beim Zentralrat keine unterschiedliche Einschätzung. Das darf aber nicht heißen, daß jetzt eine solche Abgrenzung auch gegenüber den anderen Opfern des Völkermordes erfolgt. Eine solche Ausgrenzung würde eine Hierarchisierung der Opfer bedeuten. Es gibt eine historische und politische Verpflichtung gegenüber den Opfern des Völkermords an Juden, Sinti und Roma, der sich niemand entziehen kann und die nicht teilbar ist.

Der Mord an den 500.000 Sinti und Roma wird auch von linken Historikern - das habe ich selbst an der Uni erlebt oft als „Begleiterscheinung“ der Judenverfolgung dargestellt. Sehen Sie einen Zusammenhang zur aktuellen Diskussion?

Das ist eine Einschätzung, die von Leuten kommt, die die historische Detailkenntnis nicht besitzen. Z.B. ist die Erfassung der Sinti und Roma viel präziser gelaufen, als die von Juden. Während ein im Nazi-Jargon sogenannter „Viertel -Jude“ noch bis 1944 einen relativ sicheren Status in Deutschland hatte, bezog sich die Erfassung der Sinti und Roma bis auf sogenannte „Ein-Achtel-Zigeuner“. Ich würde unterstellen, daß diese Erfassung, über das Reichsicherheitshauptamt laufend, den Weg bereiten sollte für eine Aussonderung sogenannter „Ein-Achtel-Juden“ aus der deutschen Bevölkerung. Der Völkermord an den Juden ist am Beispiel der Sinti und Roma erprobt und vorbereitet worden. Eine befriedigende Deutung des Nationalsozialismus muß den Stellenwert seiner Rassentheorien zur Grundlage haben. Das Schicksal der Sinti und Roma muß im direkten Zusammenhang mit dem der Juden gesehen werden. Der Zentralrat unterstützt grundsätzlich die Forderung nach einem Mahnmal für die Opfer des NS-Völkermordes, und wir erwarten von der „Perspektive Berlin“, daß sie der Verpflichtung gegenüber allen Opfern des Völkermordes gerecht wird.

ccm