Auch ausländische Manager dürfen bulgarische Firmen führen

Hannover-Messe, „Business-Forum Bulgarien“: Groß ist das Unternehmerinteresse, Einzelheiten über die Perestroika in der Wirtschaft des Balkanlandes zu erfahren  ■  Von Dietmar Bartz

Das riesige weißblühende Kirschbaumgeäst im neuen Tagungszentrum der Hannover-Messe hätte als Symbol für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der BRD und der Volksrepublik Bulgarien stehen können - zumindest, was den Wunsch der bulgarischen Seite betrifft. Es blüht dank klimatischer Erwärmungen, aber die Früchte sind noch nicht in Sicht.

Aber noch eher hier als anderswo. Zwei Tage zuvor hatten allenfalls drei Dutzend bundesdeutsche Unternehmer den Weg zum „Business Forum Marokko“ gefunden, während jetzt, zum „Business Forum Bulgarien“, der große Saal rappelvoll wurde. Das war nicht nur der bulgarischen Delegation zu verdanken, die gleich mit 125 Spitzenkräften der Wirtschaft angereist war; die Teilnehmerliste weist auch fast 150 bundesdeutsche Unternehmer und Verbandsfunktionäre auf.

Wer mit Bulgarien Geschäfte macht oder machen will, tat gut daran, sich in Hannover einzufinden. Das hat einen simplen Grund: Mit dem schon fast zum Schlagwort geratenen „Erlaß Nr.56“ ist der bulgarische Außenhandel völlig umgekrempelt worden. Das staatliche Außenhandelsmonopol ist vorbei. Die großen und kleinen Konzerne des Landes, die in Zukunft ihre Verkäufe ins kapitalistische Ausland selbst in die Hand nehmen können, haben neue Namen und zuweilen auch neue Direktoren bekommen. Die Geschwindigkeit, mit der Staats und Parteichef Shivkov auf den Perestroika-Zug aufgesprungen ist und schon im Führerhaus Platz genommen hat, ist atemberaubend. Konstantin Glavanakov, der stellvertretende Außenwirtschaftsminister, erwähnte denn auch am Sonntag en passant: „Sie sind sicherlich die Ersten, die erfahren, daß das Registrationssystem für den Ex- und Import ab morgen eingeführt und das Genehmigungsverfahren abgeschafft wird.“

Bulgarien gilt als das RGW-Land, in dem die Perestroika am allerweitesten vorangeschritten ist - oder auch die Orientierung am Westen. Wirtschaftsminister Ovtscharov: „Ein wesentliches Merkmal unserer Reform ist die starke Annäherung an die Gesetzgebung und die ökonomischen Regulatoren der europäischen Industrieländer.“

Anbieten kann Ovtscharov dabei nicht nur die neue volle Eigenständigkeit der Firmen und die „Anerkennung der Rolle des Marktes als Regulator der Wirtschaft“. In Zukunft wird nur noch ein kleiner Teil der Binnenpreise durch den Staat festgelegt, nämlich die Preise von Waren mit sozialer Bedeutung für die Bevölkerung; alle anderen werden „nach dem Grundsatz der Nachfrage und des Angebots auf dem Markt fixiert“. Der Prozeß soll im nächsten Jahr abgeschlossen sein. Auch dabei will die KP das Know-how aus dem kapitalistischen Ausland nutzen: „Wir werden es auf jede Art und Weise unterstützen, daß als Präsidenten und als Vorsitzende von Verwaltungsräten einiger bulgarischer Firmen bewährte ausländische Manager herangezogen werden“ inklusive einer Vergütung in konvertibler Währung „in einer dem internationalen Standard adäquaten Höhe“.

Wichtiger ist allerdings ein ganzes Bündel von Angeboten, um ausländische Firmen ins Land zu holen - dazu zählt etwa eine fünfjährige Befreiung von der Gewinnsteuer, wenn Selbständige oder Unternehmen in bestimmte High-Tech -Bereiche investieren wollen. Ganz besonders günstig sollen Produktion oder Handel in den bulgarischen Zollfreizonen werden - den dort angesiedelten Firmen wird die Gewinnsteuer für fünf Jahre erlassen, und danach wird die Besteuerung nur 20 Prozent ausmachen.

Lyuben Botev ist da schon von Berufs wegen optimistisch. Er ist Vize-Direktor der Freien Zone in Russe, einer nordbulgarischen Hafenstadt an der Donau. „Wir sind weltweit die Nummer 421, aber bei uns die Nummer eins“, sagt er. Vor einem halben Jahr wurden die ersten hundert der insgesamt 800 Hektar Zollfreigebiete fertiggestellt; seither bietet er große Freiflächen und 5.000 Quadratmeter Hallen an. Bisher allerdings ohne nennenswerten Erfolg - dort ist bis jetzt nur die österreichische Handelsfirma Elektrobrigitte mit einem winzigen Büro angesiedelt. Botev setzt auf das Jahr 1992, diesmal nicht wegen des EG-Binnenmarktes, sondern wegen der durchgehenden Schiffbarkeit des Rhein-Main-Donau -Kanals, die in drei Jahren erreicht sein soll.

Mit Personalfragen haben die ausländischen Firmen dabei nur sehr wenig zu tun; die Personalhoheit haben die bulgarischen Zonenbetreiber inne. Den angesiedelten Unternehmen werden Fachleute und Hilfsarbeiter durch die Betreibergesellschaft vermittelt. Die Firmen zahlen dabei in Devisen, die Beschäftigten erhalten ihren Lohn in Lewa. Und hat die Regierung in Sofia schon mit der Bulgarisierung der ansässigen TürkInnen im Land genug zu tun, sind Arbeitsemigranten aus Griechenland oder der Türkei ausdrücklich unerwünscht.

Nicht nur ausdrücklich erwünscht, sondern konkret angepeilt sind Ansiedlungen aus der BRD, nicht nur in den Zollfreizonen, sondern überall. Überhaupt ist die BRD das Hauptziel aller Kooperationswünsche mit dem Westen; mit bundesdeutschen Unternehmen wird ein Viertel des gesamten Außenhandels mit den kapitalistischen Industrieländern abgewickelt. Das ist wenig genung - schließlich steigt der Anteil der RGW-Länder am bulgarischen Außenhandel seit 1980 wieder an und hat 1987 die Achtzig-Prozent-Marke überschritten. Gegenüber der BRD ist ein horrendes Defizit zu verzeichnen: den Importen aus der BRD von rund 1,5 Milliarden Mark (1988) stehen Exporte von nur 322 Millionen Mark gegenüber. Und während die Importe aus der BRD insgesamt stagnieren, nehmen die Exporte eher noch ab. Von 1986 auf '87 fielen sie um 11,5 Prozent, von 1987 auf '88 um noch einmal um 8,9 Prozent. „Die Politik unseres Landes strebt keinen mathematischen Ausgleich an, drängt aber auf Exporte in die BRD, weil ihre Unternehmer vor allem an Exporten nach Bulgarien interessiert sind“, merkt denn auch der Außenwirtschafts-Ministeriale Glavanokov an. Daß die allermeisten Märkte in der BRD inzwischen „besetzt“ sind, räumte Wirtschaftsminister Ovtscharov dabei unumwunden ein.

Nicht nur nach dem Volumen, sondern auch nach der Anzahl der Kooperationsprojekte steht die BRD an erster West -Stelle; 30 bis 35 sind es bisher, und acht bis zehn weitere sind im Gespräch, gab Ovtscharov auf der Messe bekannt. Vor kurzem wurde mit dem Salzgitter-Konzern ein Vertrag über den Bau eines Chemiewerkes unterzeichnet, das etwa 100 Millionen Mark kosten wird; vier weitere sollen in den nächsten Jahren folgen. Ab Ende April werden bulgarische Firmen Teile an VW zuliefern, die mit Autos aus Wolfsburg bezahlt werden; in einem Jahr soll ein weiteres Kooperationsprojekt mit dem Auto-Konzern unter Dach und Fach sein. So wollte denn auch ein Wolfsburger Manager vom Minister vor allem wissen, wie die Regierung die Qualitätskontrolle der Zulieferindustrie zu verbessern gedenke. Und schließlich wollen sich zwölf weitere Kaufhäuser einem Gemeinschaftsunternehmen anschließen, das ein Zentralkaufhaus in Sofia mit dem Asko -Konzern in Saarbrücken unterhält.

Weil die Märkte in der BRD nun einmal „besetzt“ sind, rechnen sich die bulgarischen Wirtschaftsmanager mit einem bestimmten Angebot besondere Chancen aus: Daß bundesdeutsche Firmen in Bulgarien produzieren und die guten Beziehungen Sofias in den Nahen Osten, an den Persischen Golf oder etwa auch in die innerchinesischen Provinzen ausnutzen. Die bulgarischen Exporte in den Irak und nach Libyen übersteigen die Ausfuhren in die Bundesrepublik um das mehr als Fünffache. Ob es allerdings zur Steigerung der bundesdeutschen Exporte ausgerechnet in diese beiden Länder der Hilfe der Shivkov-Regierung bedarf, war offiziell wie inoffiziell nicht zu erfahren.