„Hier fälscht der Chef“

■ Bayerisches Fernsehen beschönigt Politiker-Aussagen / JU-Chef wird vor sich selbst geschützt

München - Daß Politiker mit ihren polemischen Äußerungen oft über das Ziel hinausschießen, ist Schnee von gestern. Vor allem im weißblauen Freistaat haben sich die WählerInnen längst daran gewöhnt. Neu ist jedoch die Auffassung von der „journalistischen Sorgfaltspflicht“, die im Bayerischen Rundfunk herrscht: radikale Politiker-Aussagen kosmetisch aufbereitet auf den Bildschirm zu schicken.

So machte der bayerische JU-Chef Gerd Müller in der vergangenen Woche Schlagzeilen, als er auf einer Pressekonferenz die Todesstrafe für Rauschgiftdealer forderte. Im Rundschau-Telegramm des Bayerischen Fernsehens jedoch erfuhren die ZuschauerInnen davon nichts. Müller hätte lediglich „härtere Strafen“ verlangt, meldete der Sprecher. Nach dem Motto „Hier fälscht der Chef selbst“ schmiß nämlich der Leiter der Redaktionsgruppe, Heinz Klaus Mertes, die wahrheitsgemäße Fassung wenige Minuten vor der Sendung in den Papierkorb und schrieb seine eigene Version. Die ging dann über den Sender. Von seinen aufgeregten Mitarbeitern daraufhin angesprochen, verkündete er fürsorglich, man müsse Politiker auch einmal vor sich selbst schützen.

Mertes handelte mit seiner weisen Vorausschau ganz im Sinne der CSU. Die Schwarzen können sich zu solchen Journalisten nur beglückwünschen. Denn ihnen gelang es erst einen Tag später, Müller zurückzupfeifen und dazu zu bringen, seine Aussage zu widerrufen. Die Frage bleibt nur, wer schützt die Öffentlichkeit vor solchen Journalisten?

Die bayerische SPD ist nicht bereit, diesen Vorfall unwidersprochen hinzunehmen. SPD-Rundfunkrat Jürgen Böddrich will auf der nächsten Gremien-Sitzung nachhaken. Fernsehchef Wolf Feller, der selbst auf der Parteibuch-Linie zu Amt und Würden kam, soll dafür sorgen, daß wenigstens die primitivsten journalistischen Grundregeln eingehalten werden.

Luitgard Koch