Memmingen: 77 Fälle eingestellt

■ Staatsanwalt fordert harte Strafe für Frauenarzt Theissen in den übrigen Anklagepunkten - sonst wird alles wieder aufgerollt / Anklage-Plädoyer am kommenden Freitag

Memmingen (ap/taz) Für Überraschung sorgt die Staatsanwaltschaft im Memminger Theissen-Prozeß: 77 der insgesamt 156 Fälle, für die der 50jährige Frauenarzt Horst Theissen vor Gericht steht, wurden „vorläufig“ eingestellt. Die Staatsanwälte schlossen die Beweisaufnahme ab und verzichteten darauf, 40 noch geladene Zeuginnen vor Gericht zu vernehmen. Damit wollen sie offensichtlich dazu beitragen, den größten und längsten Abtreibungsprozeß der Bundesrepublik nach über sieben Monaten endlich zum Abschluß zu bringen.

Oberstaatsanwalt Peter Stöckle, der die Ermittlungen in Memmingen leitete, erklärte, daß die bereits verhandelten Fälle ausreichten, um ein „schuldangemessenes“ Strafmaß zu bilden. Auch die Fortsetzung der Zeuginnenvernehmung sei beim jetzigen Stand des Verfahrens „nur noch ein Streit um des Kaisers Bart“. Dieses Entgegenkommen für die vom Sitzungsmarathon geplagten Richter, Verteidiger und den Angeklagten ist jedoch an eine knallharte Bedingung geknüpft: Nur wenn Theissen - nach Meinung der Staatsanwaltschaft - „schuldangemessen“ verurteilt wird, bleiben die Fälle niedergeschlagen. Sollte Theissen jedoch freigesprochen oder zu milde verurteilt werden, so würde die Staatsanwaltschaft die 77 jetzt „vorläufig“ eingestellten Fälle wieder aufrollen.

Solch ein Vorgehen, mit dem die Staatsanwaltschaft versucht, das Urteil zu beeinflussen, ist nach der Strafprozeßordnung durchaus üblich. Überraschend ist jedoch, in welcher Offenheit Staatsanwalt Stöckle seine Strategie darlegt. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft - falls ihr der Urteilsspruch nicht paßt - die 77 Fälle wieder aufzurollen, müssen die Richter dann stattgeben. Damit wäre ein weiterer Prozeß vorprogrammiert.

Bereits am kommenden Freitag wird die Staatsanwaltschaft im Theissen-Prozeß ihr abschließendes Plädoyer halten. Die Plädoyers der drei Verteidiger Sebastian Cobler, Jürgen Fischer und Wolfgang Kreuzer werden für den 21. oder 24. April erwartet.

Gunhild Schöller