Hungerstreik-Kompromiß in weiter Ferne

■ 70 Tage nach Beginn des Hungerstreiks finden die Justizminister keine gemeinsame Haltung

Gestern scheiterte die Justizministerkonferenz der Bundesländer bei der Suche nach einer gemeinsamen Haltung gegenüber den Forderungen der hungerstreikenden Gefangenen. Dem Vorschlag, Gruppen in den SPD-regierten Ländern einzurichten, wird wenig Aussicht auf Erfolg eingeräumt.

Über seine Erfahrungen mit Hungerstreiks, Isolationshaft und Zusammenlegung berichtet das ehemalige Mitglied der Bewegung 2. Juni, Till Meyer.

In der Bundeshauptstadt herrschte gestern morgen ratloses Schweigen. Die Verlautbarungsstrategie der vergangenen Wochen, zum Thema Hungerstreik immer auf die angeblich „erfolgreichen Bemühungen“ des Justiz-Staatssekretärs Klaus Kinkel zu verweisen, wurde durch die Justizministerkonferenz vom Montag abrupt beendet. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan, die CDU-regierten Länder ließen ihn durchfallen. Nur der rheinland-pfälzische Justizminister Caesar (FDP) konnte sich für Kinkels Vorschlag erwärmen, fünf Fünfer-Gruppen von Strafgefangenen einzurichten - ein Vorschlag, den Kinkel als „Person“ machte, wie es heißt, der aber doch von oben abgesichert war, denn Justizminister Engelhard (FDP) bedauerte anschließend sein Scheitern. Auch wenn das Kinkel -Modell für die Öffentlichkeit überraschend kam: Für die Beteiligten hinter den Kulissen soll es schon lange in der Diskussion gewesen sein, hieß es gestern in Bonner Justizkreisen, als „eine mögliche Variante“.

Die SPD-regierten Länder Schleswig-Holstein, Nordrhein -Westfalen und Berlin bezeichnen ihr Angebot nun als die Realisierung eines „Segments“ des Kinkel-Vorschlags: Zusammenlegung von jeweils vier bis sechs Gefangenen. Das betrifft die zehn in ihren Ländern einsitzenden Verurteilten; außerdem sei NRW bereit, so kündigte Justizminister Krumsiek gestern an, bei einer Zusammenlegung Gefangene aus anderen Bundesländern miteinzubeziehen. Dazu ist das Einverständnis von Generalbundesanwalt Rebmann nicht nötig, obwohl dieser Eindruck noch am Montag abend von den SPD-Ministern fälschlicherweise geweckt wurde. Die drei SPD -Länder wollen auch, so heißt es in ihrer gemeinsamen Erklärung, „Möglichkeiten zum unmittelbaren Gesprächskontakt“ schaffen, sowohl für alle Gefangenen untereinander als auch mit außenstehenden Dritten. All dies ist aber an zwei klare Voraussetzungen gebunden: Der Hungerstreik muß zuerst abgebrochen werden, und die Zielvorstellung der Hungerstreikenden, in ein bis zwei große Gruppen zusammengelegt zu werden, wird eindeutig abgelehnt: Sie sei „aus der konkreten Haftsituation nicht begründet“, und sie sei „Instrument des Kampfes gegen unsere Rechtsordnung“, so die Erklärung. Das SPD-Angebot bleibt damit nicht nur hinsichtlich der angepeilten Gruppengröße hinter den Überlegungen des Verfassungsschutzes zurück, der eine Zusammenlegung in Siebener-Gruppen erwogen hatte. Die dezidierte Ablehnung der Zielforderung der Hungerstreikenden wurde in dem Wissen ausgesprochen, daß dies nicht unerheblich ist für die Möglichkeit der Gefangenen, in der jetzigen Situation auf Kleingruppen-Angebote einzugehen.

In Bonn wird nun darauf verwiesen, daß einerseits die Länder, andererseits die Hungerstreikenden am Zug seien. Kinkel und Engelhardt berichteten gestern morgen dem Kabinett. Die FDP, der Kinkel nahesteht, hüllte sich in Schweigen. Der Präsidiumsbeschluß, sich aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten, wie er vor der Justizministerkonferenz gefaßt wurde, gelte weiter, hieß es gestern. Während Jürgen Reents vom grünen Bundesvorstand bekräftigte, die Zusammenlegung in großen Gruppen sei „eine Mindestwahrung von Menschenrechten“ bei jahrelanger Strafhaft, artikuliert sich ansonsten nur eine große Koalition angeblicher Lebensschützer: In dem gemeinsamen Appell der Justizminister-Konferenz werden alle gesellschaftlichen Gruppen aufgerufen, daran mitzuwirken, daß „Eskalationen“ verhindert werden - ein Appell gerade an jene liberalen Unterstützer der Zusammenlegungsforderung, deren Aufrufe bisher geflissentlich überhört wurden. Schleswig-Holstein Ministerpräsident Björn Engholm behauptete am Montag abend, die SPD-Politik prüfe „vorurteilslos“ alle Möglichkeiten, eine Eskalation zu vermeiden, und darauf habe man sich schon seit Beginn des Hungerstreiks „konzentriert“...

Charlotte Wiedemann