SPD-Angebot umstritten

SPD-Initiative zum Hungerstreik ist auf zehn Gefangene beschränkt / Pohl-Anwalt: Kein Ansatz zur Beendigung des Hungerstreiks / Kinkel-Vorschlag von Kohl gedeckt  ■  Von unseren Korrespondenten

Bonn/Berlin (taz) - Das Angebot der SPD-regierten Länder Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und des rot -grünen Berlin an die inhaftierten RAF-Gefangenen hat in der Auseinandersetzung um den Hungerstreik zu keinem Durchbruch geführt.

Nach einem Gespräch mit dem Gefangenen Helmut Pohl erklärte dessen Anwalt Johannes Pausch gegenüber der taz, wenn das vorliegende SPD-Angebot bereits „der Endstand“ sei, wäre dies „kein Ansatz für weitere Gespräche oder für die Beendigung des Hungerstreiks“. Dieses Angebot sei nur „Kosmetik an den alten Zuständen“. Die Initiative lasse völlig außer Acht, was mit den RAF-Gefangenen in den unionsregierten Ländern geschehen soll. Pohl hatte zuvor mit Christa Eckes telefoniert, die gemeinsam mit Karl-Heinz Dellwo heute vor zehn Wochen in den Hungerstreik trat.

Die drei SPD-geführten Länder hatten sich nach der gescheiterten Sonderkonferenz der Länderjustizminister am Montag abend bereiterklärt, Gefangene in „mehreren Gruppen von vier bis sechs Personen“ zusammenzulegen. Das Angebot ist jedoch auf die zehn bisher in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Berlin inhaftierten und rechtskräftig verurteilten Gefangenen beschränkt. Das bestätigte gestern die Sprecherin des Kieler Justizministers Klaus Klingner, Renate Boockhoff-Lehmann.

Die Frage, ob weitere Gefangene aus unionsregierten Ländern übernommen werden können, stelle sich „derzeit“ nicht, sagte Frau Boockhoff-Lehmann. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau wollte sich gestern in dieser Frage nicht festlegen. Im Anschluß an eine Sitzung der SPD -Fraktion im Düsseldorfer Landtag sagte Rau vor Journalisten: „Ich möchte da keine hypothetischen Fragen beantworten. Hernach kriege ich die Angebote, die ich gar nicht wünsche.“

Gegenwärtig stehen solche Angebote nicht ins Haus. Baden -Württemberg, Hessen und auch Niedersachsen lehnen eine Verlegung der Gefangenen aus ihrem Hoheitsbereich in SPD -geführte Länder derzeit strikt ab. Das erklärten übereinstimmend die Sprecher der CDU-Justizministerien gegenüber der taz. Aus Bayern war eine Stellungnahme gestern nicht zu erhalten. Niedersachsen hatte noch Anfang April angeboten, die drei in Celle einsitzenden Gefangenen jederzeit abgeben zu wollen. „Diese Meinung hat sich gestern geändert“, sagte Remmers-Sprecher Hartmut Möllring.

Regierungssprecher Ost bezeichnete einen Alleingang der SPD -Länder gestern als „schädlich“. Gerade in der derzeit angespannten Situation müsse „der Rechtsstaat geschlossen allen Herausforderungen begegnen“. Ost distanzierte sich auf Nachfrage nicht von dem gescheiterten Kinkel-Vorschlag, sondern verwies auf die Unterstützung Kohls für „die Bemühungen von Engelhard und Kinkel“.

Einen Appell zum einheitlichen Verhalten der Länder formulierte Ost aber in der Richtung, „alle Strafgefangenen aus ihrer zum Teil selbst gewählten Isolation in den allgemeinen Strafvollzug einzugliedern“. Die „guten Erfahrungen mit dem Normalvollzug“ in NRW seien auch auf der gestrigen Kabinettssitzung hervorgehoben worden. Ost: „Die unionsgeführten Länder sind für diesen Weg.“ Der Sprecher des Justizministeriums deutete an, die Justizministerkonferenz sei in dieser Hinsicht „kurz vor einer Einigung“ gewesen. Eine Antwort auf die Frage, welche der gegenwärtigen Sonder-Haftbedingungen denn nach diesem Konzept aufgehoben werden sollten, war aber nicht zu erhalten. Ebenso wie die Justizministerkonferenz appellierte die Bundesregierung an kirchliche und andere gesellschaftliche Gruppen, ihren Einfluß in Richtung auf Abbruch des Hungerstreiks geltend zu machen.

Insgesamt befinden sich jetzt 38 Gefangene im Hungerstreik. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft Fortsetzung Seite 2

haben sich die Untersuchungsgefangenen Ali Jansen und Bernd Rosenkötter in Frankfurt sowie Andreas Semisch in Frankenthal dem Streik angeschlossen. Die drei werden dem „Widerstand“ zugerechnet.

Einen „Kniefall vor den Terroristen“ warf der Düsseldorfer Oppositionsführer Worms (CDU) Ministerpräsident Rau vor. CDU -Landeschef und Bundesminister Blüm lehnte ebenso eine Zusammenlegung als „verhängnisvollen Plan“

kategorisch ab. Blüm ging auch zu dem als „Vermittler“ eingeschalteten Justizstaatssekretär Kinkel auf Distanz. Für Kinkels Fünfer-Gruppen-Vorschlag habe es kein Mandat der Bundesregierung gegeben.

Der Düsseldorfer Justizminister Krumsiek hat dagegen gestern vor der Landtagsfraktion erklärt, Kinkels Vorschlag sei mit Bundeskanzler Kohl und und dem FDP-Vorsitzenden Lambsdorff abgestimmt gewesen. Kinkel hätte sich deren Rückendeckung besorgt. Das habe Kinkel in der Konferenz der Justizminister am Montag ausdrücklich versichert.

Die Entschlossenheit, den Forderungen der Hungerstreikenden nicht nachzugeben, bekräftigte nochmals

der baden-württembergische Justizminister Heinz Eyrich (CDU). Eyrich erklärte, er würde sofort einer Zusammenlegung in große Gruppen zustimmen, wenn die Gefangenen „nach innen und nach außen“ den Zielen der RAF abschwören würden.

In Berlin haben gestern über 20 UnterstützerInnen das Büro des Regierenden Bürgermeisters kurzfristig besetzt. Mit der Aktion forderten sie eine sofortige Initiative des rot -grünen Senats. Er solle für die Einrichtung einer großen Gruppe in Berlin sorgen.

Auf dem Gründungskongreß der IG-Medien in Hamburg forderten gestern die Teilnehmer einstimmig die Bundesregierung und alle Verant

wortlichen in Bund und Länder auf, „den hungerstreikenden RAF-Gefangenen schnellstens ein verhandlungsfähiges Angebot zu deren Forderung auf Zusammenlegung zu unterbreiten“.

Daß es zu keiner Einigung der Justizminister gekommen ist, bezeichnete gestern der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar als „verheerend“. Caesar befürchtete in einem Interview mit der 'Rheinpfalz‘, daß es wegen der fehlenden Linie „innerhalb und außerhalb der Gefängnisse“ Tote geben werde. Er warnte: „Wenn sich dann die Parteien die Toten gegenseitig in die Schuhe schieben, wird die politische Mitte weiter geschwächt.“

Die „Neue Richtervereinigung“ hat

in einer Erklärung ein sofortiges Handeln der SPD-regierten Länder gefordert. „Die Länder, die zur Zusammenlegung der Gefangenen bereit sind, müssen und dürfen sich nicht hindern lassen, das als notwendig Erkannte zu tun.“ Die harte Haltung insbesondere Bayerns und Baden-Württembergs könne nur Unheil nach sich ziehen.

Die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher forderte, die RAF-Problematik unbedingt aus dem parteipolitischen Streit herauszuhalten. „Denn hier steht ja mehr auf dem Spiel als irgendein Prestigeerfolg einer Landesregierung“, sagte die Abgeordnete im Saarländischen Rundfunk.

Gast/Rosenkranz/Wiedemann