WAS SCHREIT DENN DA?

■ Benito Gutmachers „Der Schrei des Körpers“ im Hebbel-Theater

Der Programmzettel, eine Art Menü-Karte für die zehn Gänge des angekündigten Theater-Schmauses, versprach die Wiederauferstehung Artauds. Doch die Gebeine des heiligen Provokateurs blieben ruhen. Sein Geist erschien nicht. Das „Theater der Grausamkeit“ erwies sich als Second-hand -Gütezeichen. „Der Schrei des Körpers“ blieb eine Pose.

Benito Gutmacher scheint um das rein Kunstgewerbliche seiner Darbietung zu wissen: Die zweite der zehn Miniaturen seines Siebzig-Minuten-Solos heißt „Bravo!“. Nachdem er Grotowsky zum Breakdance verflacht, minutenlang gezuckt hat wie ein animierter Dürer-Christus, konfrontiert er uns mit einer endlosen Ovation, schreit und klatscht uns seinen Beifall entgegen. Sein Asketenleib spult im Zeitraffer noch einmal das Nummern-Entree durch, bis der Schmerzensausdruck zum beliebig reproduzierbaren Stereotyp wird. Seine Stimme liefert dazu, phonetisch verdreht, den Schnelllauf -Kommentar, die abrufbare Kritiker-Verzückung aus der Konserve. Ein Umkehrungsgag, die ironische Aufhebung von Theater.

Das hätte ein Ansatz sein können; doch dann mimt Benito den avantgardistischen Affen, als gelte es noch, unsere puritanischen Großväter zu erschrecken. Schon gehabt: wem auf der Bühne nichts einfällt, der steigt vom Rampen-Olymp in die Menge. Dann streichelt Benito zärtlich eine Zuschauerglatze, bittet Glatze aufzustehen und sich zu verbeugen. Weiter geht's. Benito zählt die Zuschauer, verzählt sich. Das ist lustig. Ein beinahe abendfüllendes Programm für einen virtuosen Finger.

Nur flüchtig verirrt sich der Bühnen-Aktionist zu einem Thema. „Keine Gewalt“ ist eine Nummer, die zwar durchsichtig ansetzt - er masturbiert mit einem Säbel - doch die szenische Floskel unerwartet ins Existentielle transzendiert. Benito heftet die Machete einem Premierengast an die Stirn. Keine Faser seines Körpers rührt sich. Nur das Gesicht beginnt zu arbeiten, gerät in eine mimetische Zentrifuge. „Bis an die Grenze der Emotion“, verspricht das Plakat. Hier stimmt es, wagt ein Artist die Gratwanderung. Doch dann löst sich die Spannung, das unerträgliche Durchleiden eines mörderischen Impulses, wieder auf in der Beliebigkeit der Sketch-Folge. Puff. Erneutes Geturne, bodystretching.

„Keine Revolution heute abend“, sagt der Künstler einmal unvermittelt und setzt seine traurige Flucht in die Kasperei fort. 17 Jahre alt ist 'le cri du corps‘ und wirkt verbraucht, ausgelutscht wie die Illusionen des Anti -Theaters. Zwischen dem Autismus der Pose und dem bekannten, keine Variation mehr herausfordernden Publikums-Spielzeug hangelt sich der funmaker Gutmacher durchs Niemandsland, apostrophiert Bedeutungen, deren Hintergründe, soziale und psychologische Anknüpfungen eliminiert sind. Den Stahlhelm aufgesetzt: jetzt wird's politisch. Auf dem Besen geritten, am Holzstiel gerieben: uns freut das Obszöne. Am Ende die abschließende Hommage an den maitre Antonin Artaud: eine Grausamkeits-Ikone, ein stilisierter Ausklang. Der Lendenschurzathlet wickelt sich in ein blutiges Tuch und setzt sich gemütlich. Mit einem verschmitzten Clownslächeln hebt Gutmacher seine Inszenierung auf: Er schnipst den Spot aus. Großes Bravo.

jens müller

Bis zum 19. April täglich, 21 Uhr, im Hebbel-Theater.