ILLUSTRIERTES BRAINSTORMING

■ Referenzen IV in der Galerie Karo

Entwicklungsgeschichte des Menschen, nachgelesen an Kunst und Technik, wird in sechs Dingen zitiert: 1. Das Torfstück könnte für die Entdeckung der Rohstoffe und für die noch ungeteilten Künste und Techniken stehen. Die Ziegelform des Torfes ist elementare Gestalt und und Nutzbarmachung als Bau - und Heizelement zugleich. 2. Der Dornenzweig, zum Kranz gebunden, läßt gleich schon von der archaischen in die christliche Geschichte springen und wechselt die Ebene von der elementaren Bedeutung der Dinge zu ihrer symbolischen Funktion. 3. Nägel und umwinkelte Spindel als Werkzeug; Architektur- und Textilgeschichte beginnen beide mit dem Verbinden und Verdichten des Stofflichen. Aber trotz des gemeinsamen Ursprungs aus der Gestaltung der unmittelbaren Umgebung des Menschen wird die Architektur als männlicher, werden die textilen Techniken als weiblicher Produktionszweig angesehen. 4. „High Chem“, ein Reagenzglas mit Tabletten, verweist auf den historischen Punkt, an dem die Technik beginnt, nicht nur die Umwelt des Menschen zu gestalten, sondern auch in seinen eigenen Körper direkt einzugreifen. Aus unterschiedlichen Perspektiven den menschlichen Körper zu begreifen bildete seit der Renaissance den gemeinsamen Schnittpunkt von Kunst und Medizin. 5. Die Compact-Disc aus dem Hifi-Zeitalter gehört zu den jüngsten Ergebnissen einer Kunst- und Technikproduktion, die unter dem Vorzeichen der Reproduzierbarkeit steht. 6. Für die „High Energie“ schließlich liegt ein elektronisches Schaltteil bereit, dessen Funktion nicht mehr ersichtlich ist und an keine Disziplin gebunden scheint. „Low Tech - High Tech“ nennt Silvia Breitwieser ihre von mir spekulativ beschriebene Installation der sechs Objekte, die unendliche Interpretationen und historische Zuordnungen zulassen. Kunst und Technik als zwei menschliche Produktionsweisen zu begreifen, deren Verhältnis zueinander sich im Lauf der Geschichte verändert, war eine der Problemstellungen Silvia Breitwiesers, zu der sie und die Gruppe Sieben87 ästhetische Visualisierungen erarbeitet haben. Die Ausstellung in der Karo-Galerie ist die vierte in der Reihe der „Referenzen“, in der die sieben Künstler jeweils mit ihren Mitteln auf eine Vorgabe reagieren, um so ihren Ideenaustausch zu intensivieren und praktisch umzusetzen. In dem Konzept steckt auch der Trick, sich durch die Verpflichtung, auf die Arbeiten der anderen sechs zu reagieren, ein Motiv für die eigene Arbeit zu schaffen und nicht in ständiger Isolation „Unseren täglichen Sinn gib uns heute“ herbeten zu müssen.

Es sei ihm entschieden zuviel „Überbau“, meinte ein Ausstellungsbesucher angesichts der erklärenden Texte an der Wand. Tatsächlich nimmt sich die Ausstellung wie eine Denksportaufgabe für Anthropologen aus. Die Ketten der Assoziationen sind so lang und verwickelt, daß die einzelnen Glieder wie im Spiel „Stille Post“ ihre Herkunft nicht mehr erkennen lassen. Den Mythos von der Suche nach dem Goldenen Vlies hatte Silvia Breitwieser an den Anfang ihrer Arbeit gestellt: Darin lagen sowohl die Utopie einer vollkommenen Schönheit als auch die kriegerischen Auseinandersetzungen um den Besitz des Vollkommenen. Das Schöne, das die Kunst zu ihrem Ziel nahm, wird zugleich zum Anlaß der Entwicklung einer zerstörerischen Technik. Wenn bei Hansjörg Tauchert aus dem Goldenen Vlies die „Goldene Fliese“ wird, wirkt dies zunächst wie ein Freudscher Versprecher, eine ironische Distanzierung. Aber er konfrontiert in seinem Objekt eine störungsanfällige und schnell alternde Technik mit elementarer Stofflichkeit. Giesela Weimann läßt über Patronenhülsen steigen, die auf eine schon zerschossene Palette zielen. Ann Noel hat ein Sternbild aus Schlüsseln gemalt und kommentiert, daß die Herren der Technik die Schlüssel der Zukunft verwalten, während die Künstler darum betteln müssen, auch einmal damit spielen zu dürfen. Elke Nord, Regina Roskoden und Rosemary Jarman greifen noch in anderen Bildern Breitwiesers Interpretation des Mythos auf.

In einer zweiten Installation setzt Silvia Breitwieser Fotografien und Gläser provisorisch in viel zu große industriell vorgefertigte Metallrahmen, in die sonst Roste für Fußabtreter montiert werden. Da wird ihr das Ausstellungsmachen selbst zu einer suspekten Technik, die durch ihre Präsentationsformen Prozesse scheinbar abschließt, auf deren Fortsetzung die Künstler aber angewiesen sind.

Katrin Bettina Müller

Referenzen IV in der Galerie Karo, bis zum 29. Aril, Mi-Fr 16-19, Sa 11-15 Uhr.