„Blaue Fahnen wären besser“

■ Bauarbeiter-Demo: Firmenschilder hatten Vorrang vor Fahnen / Nichts gegen Fremde, aber „jeder kämpft für sein Brot“ / Solidarische Gefühle waren kaum zu spüren

Nicht um die roten Gewerkschaftsfahnen sammeln sich die Bauarbeiter, die an der Kongreßhalle auf den Abmarsch ihres Demonstrationszuges warten; nein, sie sammeln sich um Firmenschilder: Holzmann, WTB und so weiter. Der Grund: Jeder soll seine Kollegen finden. Manchem gefallen die Firmenschilder sowieso besser. „Einer roten Fahne laufe ich ungern hinterher“, sagt ein Mann, „blau wäre besser.“

Alte Arbeiterlieder schmettern aus den Lautsprechern: „Ich will mein Glück probieren, marschieren...“ Muß das nicht auch für Arbeiter aus der DDR und Polen gelten? Nicht gegen die DDR-Kollegen wolle man zu Felde ziehen, sondern gegen DDR-Dumpingpraktiken und hiesige Unternehmer; das versichern auf Befragen fast alle Demo-Teilnehmer. Doch von solidarischen Gefühlen ist wenig zu spüren. „Die versauen uns die Preise“, schimpft ein Mann. Ein anderer: „Die Gangster sollen zu Hause bleiben.“ Die DDR lasse doch, so sein Argument, nur „Hundertprozentige“ raus zum Arbeiten.

Daß die DDR Ausland ist, steht auch für den jungen Mann fest, der ein Transparent gegen die Schwarzarbeit von „Ostblocktouristen“ trägt. BRD und DDR, das sind getrennte Staaten, sagt er: „Da kannste in jeden Atlas kieken.“ Natürlich ginge es den Leuten in Osteuropa „selber beschissen“, aber er müssehier Arbeit und eine Wohnung finden.

Eine Imbißbude am Straßenrand kann kurzfristig ihren Bierumsatz drastisch steigern; einer Frau, die vorbeiradelt, johlen einige hinterher. Spott trifft auch zwei Punks, die an der Strecke stehen. Mit Fremdenfeindlichkeit hätten die Proteste aber nichts zu tun, versichern die Demonstranten. Firmen wie Schering seien die Verantwortlichen. Als der Demo -Zug dort vorbeikommt, Schering-Beschäftigte aus dem Fenster hängen, ruft ein Demonstrant: „Allet Türken!“ Doch selbst ein türkischer Arbeiter glaubt nicht, daß mit der Demonstration die Fremdenfeindlichkeit angeheizt wird. Seine Sicht der Dinge: „Jeder kämpft für sein Brot.“

hmt