Rote Fahnen gegen DDR-Arbeiter

■ IG Bau demonstrierte gegen Aufträge an DDR-Firmen / Bauarbeiter fühlen sich von Dumpingpreisen bedroht / Arbeitssenator Wagner äußert Verständnis und will mit DDR verhandeln / Wirtschaftssenator Mitzscherling verteidigt DDR-Firmen

Unter wehenden roten Fahnen demonstrierten gestern mehrere hundert Bauarbeiter gegen die Tätigkeit von DDR-Baufirmen in West-Berlin. Die IG Bau-Steine-Erden hatte zu dem Protestmarsch aufgerufen. Nach Schätzung ihres Landesvorsitzenden Werner Koch nahmen 1.500 Menschen an der Demonstration teil; 650 zählte die Polizei. „Keine Bauaufträge an die Dumpingkonkurrenz aus der DDR“, forderte ein Transparent. Auf einem anderen hieß es: „Schluß mit der Schwarzarbeit der Ostblocktouristen.“

„Immer mehr“ Aufträge am Bau gingen an DDR-Firmen, klagte Koch auf der anschließenden Kundgebung. Die Bau-Gewerkschaft schätzt, daß ständig 1.000 bis 3.000 DDR-Arbeiter auf West -Berliner Baustellen malochen. Währenddessen seien über 9.000 Bauarbeiter in der Stadt arbeitslos. Nicht gegen die DDR-Kollegen richte sich der Gewerkschaftsprotest, betonte Koch, sondern gegen die „Dumpingbedingungen“, zu denen die DDR ihre Leistungen anbiete. Würden gleiche Bedingungen gelten, fürchteten die Bauarbeiter keine Konkurrenz. Die DDR sei jedoch nicht verpflichtet, Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Sie zahle ihren Arbeitern einen Stundenlohn von nur fünf Mark/Ost, zusätzlich 17 Mark Tagegeld. Für 40 Mark pro Stunde verkaufe die DDR diese Arbeitskräfte im Westen; West-Unternehmer müßten hingegen 50 bis 60 Mark berechnen.

Die Schlußkundgebung fand vor dem Schering-Hauptgebäude am Weddingplatz statt. Der Pharmakonzern ist durch einen Sieben -Millionen-Auftrag an die DDR-Außenhandelsfirma Limex ins Schußfeld der Gewerkschaft geraten. 40 DDR-Arbeiter erstellen den größten Teil des Rohbaus für ein neues Laborgebäude an der Sellerstraße. Die Hamburger Firma CCC habe Limex als Subunternehmer angeheuert, bestätigte Schering-Sprecher Wlasich. Er räumte ein, daß sein Konzern bei der Auftragsvergabe an CCC von dem DDR-Auftrag informiert gewesen sei. „Schwer verständlich“ sei die Demonstration dennoch, da 90 Prozent aller Schering -Bauaufträge stets West-Berliner Firmen erteilt würden.

Der Senat reagierte mit gespaltener Stimme auf den Bauarbeiter-Protest. Arbeitssenator Wagner (SPD) trat auf der Kundgebung als Redner auf und äußerte „Verständnis“ für den Gewerkschaftsprotest. Der ehemalige IG-Metall-Chef versprach, „bei der nächsten Gelegenheit“ mit der DDR über die Angelegenheit verhandeln. Wagner warnte jedoch auch vor der „Brisanz“ des Themas, denn der Senat sei an guten Handelsbeziehungen mit der DDR interessiert.

Demgegenüber verteidigte SPD-Wirtschaftssenator Mitzscherling die Tätigkeit von DDR-Firmen. Sie bewege sich „im Rahmen“ des innerdeutschen Handels, von dem auch die Berliner Wirtschaft profitiere, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Der Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Steinke kritisierte auf Anfrage die „kurzsichtige Einstellung“ der Baugewerkschaft. Pikant für Mitzscherling: Auch für die landeseigene Energiegesellschaft Bewag, die vom Wirtschaftssenator beaufsichtigt wird, arbeiten DDR -Bauarbeiter. Bewag-Sprecher Knopf bestätigte gestern, daß die Importarbeiter auf einer Baustelle im Kraftwerk Oberhavel beschäftigt seien.

hmt