„Das wäre eine Eugenik von unten“

Der Europa-Abgeordnete Härlin (Grüne) zur überraschenden „Einfrierung“ des umstrittenen Genom-Projekts der Europäischen Gemeinschaft / „Die Analyse der Gene darf nicht zu einer neuen Form von Rassismus führen“  ■ I N T E R V I E W

Filipo Maria Pandolfi, Forschungskommissar der Europäischen Gemeinschaft, verkündete vergangene Woche das „vorläufige Einfrieren“ eines Projekts, das zu den umstrittensten innerhalb der EG gehört: die sogenannte Genom -Forschung mit dem Ziel der „Prädiktiven Medizin“. Genom -Forscher wollen in der menschlichen Erbsubstanz Anfälligkeiten für Krankheiten suchen. An diesem Freitag wird in der evangelischen Akademie Loccum über die „Genom -Analyse bei Arbeitnehmern - Schutz und Auslese“ diskutiert.

taz: Die EG-Kommission hat vergangene Woche angekündigt, daß sie das heftig umstrittene Genom-Projekt „Prädiktive Medizin“ einfrieren will. Es ist, wie die 'Financial Times‘ bemerkte, das erste Mal, daß die EG-Kommission ein geplantes Technologie-Projekt aus Brüssel blockiert. Also eine kleine Sensation?

Benny Härlin: Ich weiß nicht, wie sensationell das ist, weil im Augenblick noch völlig unklar ist, was „einfrieren“ überhaupt bedeutet. Bisher ist das Projekt noch nicht einmal genehmigt, es gibt also auch nichts einzufrieren. Nach meinen Informationen sieht es so aus, daß die EG-Kommission sinnvollerweise nochmals über das Projekt nachdenken will. Das ist auch schon ein Erfolg.

Können Sie das geplante Projekt unseren Lesern nochmals vorstellen?

Es geht darum, die DNA des Menschen zu analysieren, also die drei Milliarden Basen-Paare, aus denen unser Erbgut besteht, Stück für Stück zu sequenzieren. Die EG-Kommission hat mit ihrem Projekt beabsichtigt, diese Forschungen an der menschlichen DNA, die in verschiedenen Ländern betrieben wird, innerhalb der EG zu koordinieren.

Was ist mit dem Schlagwort „Prädiktive Medizin“ gemeint?

Ziel der Forschungen ist es, die Prä-Dispositionen von Menschen für bestimmte Krankheiten anhand ihrer Gene zu erkennen. Dann wäre es möglich, „prädiktiv“, also vorhersagend, bestimmte Menschen als anfällig für bestimmte Krankheiten zu identifizieren. Als nächster Schritt könnte dann - und genauso steht es in dem EG-Programmentwurf - die Weitergabe solcher genetischer Prä-Dispositionen verhindert werden. Wenn es stimmt, was einige Forscher behaupten, daß bestimmte genetische Konstellationen den Menschen anfällig machen etwa für Diabetes, für Herz-Kreilauf-Erkrankungen oder für Krebsformen, dann würden natürlich auch Arbeitgeber oder Versicherungen großes Interesse daran haben, dies zu erfahren.

Damit sind wir bei Ihren Bedenken gegen das Projekt?

Die Analyse der menschlichen Genoms darf nicht zu einer neuen Form von Rassismus führen. Es besteht die Gefahr, daß die menschlichen Gene ganz materialistisch als sein Kapital betrachtet werden, daß hier sortiert, quantifiziert und bewertet wird, sozusagen in genetischen Güteklassen. Die EG -Kommission hat sich solche Fragen nie gestellt. Sie hat ein rein technologisches Programm aufgelegt, ohne sich über die sozialen und ethischen Implikationen irgendwelche Gedanken zu machen.

Die praktischen Auswirkungen solch einer Bewertung der Gene würde auch unser Menschenbild stark verändern?

Das ist richtig. Das Gefährliche ist, daß eine bio -deterministische und eugenische Vorstellung davon, wie der Mensch eigentlich beschaffen ist, sich durchsetzen könnte. „It's all in our Genes“, hat der Nobel-Preisträger James Watson gesagt. Eine praktische Konsequenz wäre, daß nicht nur Arbeitgeber die Gene ihrer Mitarbeiter screenen, sondern daß auch werdende Mütter ihre Kinder unter einem wachsenden gesellschaftlichen Druck frühzeitig auf bestimmte Eigenschaften untersuchen ließen und dann entscheiden, ob sie abtreiben oder nicht. Das wäre eine neue Eugenik von unten.

Wie breit war die Koalition gegen dieses Forschungsverhaben?

Mein Bericht, den ich im Europa-Parlament für den Forschungsausschuß eingebracht habe und der das Projekt in dieser Form ablehnt, wurde bei einer einzigen Gegenstimme im EP angenommen. Selbst englische Konservative, die sonst relativ feucht-fröhlich an solche Fragen rangehen, haben mich an diesem Punkt unterstützt. Ich habe argumentiert, daß es die erste Aufgabe der EG sein muß, sich Gedanken über die gesellschaftlichen Konsequenzen des Genom-Projekts zu machen. Der Sequenzierung des menschlichen Genoms werden wir aber auf Dauer kaum entgehen können, da sehe ich wenig Chancen. Es wäre auch blauäugig, die Forschung hier verbieten oder die Forscher umerziehen zu wollen.

Warum ist die EG-Kommission jetzt auf Distanz zu dem Projekt gegangen? Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Das EG-Parlament hat bei solchen Entscheidungen nur beratende Funktion. Bei politisch sensiblen Themen sind Ministerrat und EG-Kommission allerdings auf ein Minimum an politischer Unterstützung angewesen. Insofern war das Votum des Parlaments nicht ganz umsonst. Noch wichtiger aber war die Vorarbeit auf nationaler Ebene. Es gab eine Debatte im Bundestag und Bundesrat mit deutlichen Bedenken. Und auch in Großbritannien ist es uns gelungen, eine Debatte über die eugenischen Implikationen des Genom-Projekts zu initiieren.

Welchen Stellenwert hat dieses EG-Genom-Projekt innerhalb des gesamten genetischen Aufrüstungsprogramms in Europa?

Die Forschungen laufen natürlich auf nationaler Ebene weiter. Großbritannien hat gerade beschlossen, 36 Millionen Mark in die Genom-Forschung zu stecken. Italien hat ein ähnliches Programm aufgelegt. Und auch in der Bundesrepublik hat eine Arbeitsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft 100 Millionen Mark jährlich von Herrn Riesenhuber für die Sequentierung des Genoms verlangt. Auf nationaler Ebene wird diese Forschung ganz vehement vorangetrieben. Auch in den USA wird sie mit jährlich 50 Millionen Dollar gefördert. Es wird also immer wichtiger, eine Diskussion über die Folgen solcher Forschung voranzutreiben, und nicht nur in der EG. Wenn wir das EG-Projekt stoppen, ist noch gar nichts gewonnen.

Interview: Manfred Kriener