„Raum zur Entfaltung vieler Lebensstile“

■ Mompers Regierungserklärung verspricht mehr „Ehrlichkeit“ und „Bürgernähe“ in der Politik / Neues Vertrauen beim Bürger erwerben / Inhaltlich wurde nur die Koalitionsvereinbarung zitiert / Die Stadt soll ein Scharnier für ein großeres Europa werden

„Von Mann zu Mann“ konterte der Regierende Bürgermeister Walter Momper den Zwischenruf eines Abgeordneten der „Republikaner“, der, als Momper ein Mädchenhaus als Zuflucht für mißhandelte Mädchen in Aussicht stellte, gleich das „Männerhaus“ forderte. Man solle doch endlich mal aufhören mit diesen „billigen Argumenten“ neue Initiativen zu diskreditieren. Walter Momper gab gestern nachmittag im Rathaus Schöneberg seine Regierungserklärung ab, die Debatte wird erst in der nächsten Plenarsitzung stattfinden. Die Opposition, zum reinen Zuhören verdammt, konnte sich zum Teil unflätige Zwischenrufe nicht verkneifen.

Von dem „neuen Stil“ in der Politik, den sich der rot-grüne Senat zum Ziel setzt, war gestern nachmittag nicht viel zu spüren. Für die Zukunft kündigte Momper eine Parlamentsreform an, die die Rechte des Parlaments generell, aber besonders die der Opposition stärken soll. „Die Politik muß von ihrem hohen Roß herunter“, sagte Momper. Politiker seien nicht allwissend und nicht allmächtig. „Ehrlichkeit“ und „Bürgernähe“ sind Konsequenzen, die die neue Regierung aus dem „Vertrauensverlust“ der Bürger in die Politik ziehen will. „Die Menschen lassen sich nicht mit Feuerwerk abspeisen“, erkannte Momper, „sie fordern ihre Rechte ein.“ Er kritisierte, daß die Politik sich der Kontrolle durch das Volk entzogen habe.

Doch das neue Selbstverständnis, das Momper sich mühte darzulegen, blieb im Nebel. Noch gibt es keinen Begriff für die neue Rot-Grüne Regierung, keine identitätsstiftenden Wörter. Mit „Demokratisierung“ und „Bürgernähe“ ist das nicht getan. Auch der „Aufbruch für eine lebendige und demokratische Stadt“, den Momper versprach, erfüllt nicht die Notwendigkeit einer sinngebenden Losung. Mit „Mehr Demokratie wagen“ begann Willi Brandt seine sozial-liberale Regierungszeit, Momper bleibt dagegen im Pragmatismus stecken. „Ökologischer Stadtumbau“, „soziale Gerechtigkeit“, „wirtschaftliche Stabilität“ „innere Liberalität“ und „Friedenssicherung“ bietet er den „Berlinerinnen und Berlinern“ an, und lädt sie ein, dabei aktiv mitzumachen.

Der inhaltliche Teil der Regierungserklärung liest sich dann allerding wie die Koalitionsvereinbarung. Förderung des Öffentlichen Nahverkehrs, kein Ausbau des Flughafen Tegel, ein Landesabfallgesetz, Verstärkung des öffentlichen Wohnungsbaus, kein Geld mehr an Generalübernehmer, Auflösung der Akademie der Wissenschaften usw. Nur einige wenige konkrete Dinge sprach Momper darüberhinaus an. Seine Reise nach Moskau, die er so bald als möglich antreten will, und einen Vorschlag, in beiden Teilen Berlins eine Vorbereitungskonferenz zu den KSZE-Verhandlungen abzuhalten.

Als ein „Experiementierfeld des Neuen“ bezeichnete Momper die Stadt und legte dar, wie staatliches Handeln unter dieser Prämisse aussehen müsse. „Der Staat soll die Vielfalt nicht formen, sondern fördern, er soll Entwicklungen nicht hemmen, sondern er soll helfen“. Das Ziel des Senats sei es, in Berlin eine Vielfalt von Lebensstilen, Religionen und kulturellen Ansätzen Raum zur Entfaltung zu geben - und blieb damit so allgemein, wie es auch schon der Diepgen -Senat war. „Das kennen wir schon“, quittierte der CDU -Abgeordnete Buwitt Mompers Bekenntnis zur Vielfalt und bekam vom Regierenden ein „Davon wird es doch nicht falsch“ zurück. „Wieso klatschen sie dann nicht“, fragte Momper den Zwischenfrager weiter und bot einen Neuen Satz: „Einem demokratischen Anspruch kann nur eine Gesellschaft gerecht werden, die die Benachteiligung der Frauen überwindet“. Die lautlose Passivität der Oppositionshände beantwortete Momper mit einem „Schade, wieder nix gewesen.“ - Doch das nur am Rande und zur Erläuterung des „neuen Stils“ in der Politik.

Auffällig war, daß Momper seine Ausführungen zur Berlin und Deutschlandpolitik und zum Verhältnis zu den Alliierten ganz ans Ende seiner Rede stellte. „Ein Scharnier für ein größeres Europa“ sollte die Stadt werden und wie ein „Berliner Zimmer“, nach allen Seiten Türen. So will Momper den „Standortnachteil“ der Stadt zu einem politischen Standortvorteil machen. Berlin werde seine Zukunft im Rahmen einer europäischen Friedensordnung finden, die die Teilung Europas in zwei militärische Blöcke überwinde. Diese Hoffnung wachse mit jedem Schritt der „Reformen im Osten“ und der „Vernunft bei uns“, sagte Momper. „Unbequem“ allerdings werde die Stadt für beide Seiten bleiben. „Wir sind gegen die Mauer, die durch unsere Stadt geht, und wir sind gegen die Mauer in unseren Köpfen“ sagte er und will den Meinungsaustausch mit den politisch verantworlichen in der DDR suchen. Er werde auch darauf hinweisen, daß „jeder Schuß an der Mauer eine Bedrohung für die weitere Entspannung“ sei.

bf