Mit Franz-Josef wär‘ das nicht passiert

■ Spektakuläre Wende in Wackersdorf / Energiewirtschaft will Wideraufbereitungsanlage aufgeben

Der Sprecher der österreichischen Tagesschau wollte „die gute Nachricht zuerst“ verkünden. Mit sichtbarem Vergnügen berichtete er vom „Aus“ der WAA in Wackersdorf. Die Nachricht, daß die Energiewirtschaft das Projekt aufgeben will, hat gestern auch in der BRD eingeschlagen. Während in Wackersdorf die Sektkorken flogen, legte die bayerische Landesregierung Trauerkleidung an. Endet der jahrzehntelange Kampf um die WAA tatsächlich mit einem „großen Sieg für die Widerstandsbewegung“ (Klaus Traube)?

Auf dem Friedhof im idyllischen Rottach-Egern war gestern das Ächzen, Stöhnen und Rumpeln laut und deutlich zu vernehmen: Franz-Josef Strauß hatte sich im Grabe herumgedreht. Der Bayer hatte wie kein anderer die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf gepuscht. Sein Vergleich mit der Fahrradspeichenfabrik machte Geschichte. Auch sein letztes Interview mit dem 'Deutschland-Magazin‘ hatte nur ein Thema: die WAA. Kaum ein halbes Jahr nach seinem Tod hat sich die bundesdeutsche Energiewirtschaft von Strauß‘ Lieblingskind verabschiedet.

Über die Gründe dieser spektakulären Wende herrschte gestern bei den WAA-Experten Einstimmigkeit:

-Die riesigen technischen Probleme dieses Projekts wurden nie bewältigt.

-Als Folge der technischen Schwierigkeiten und immer neuer Planungen explodierten die Kosten ins Uferlose.

-Die Hartnäckigkeit des Widerstandes der AKW-Gegner bereitete der Atomindustrie Ärger auf allen Ebenen.

-Mit der Wiederaufarbeitung in Frankreich steht eine erheblich billigere und politisch einfachere Lösung zur Verfügung.

Michael Sailer vom Darmstädter Öko-Institut spricht von der „völligen Unfähigkeit“ der Bauherrin DWK, das Projekt Wiederaufarbeitung zu planen und umzusetzen. Das katastrophale Ausmaß der Planungen habe zu immer hastigeren Neukonzeptionen der Anlage geführt. Sailer: „Jedes halbe Jahr haben die eine neue Version für die WAA rausgebracht.“ Doch trotz aller Neuanläufe blieben zahllose Probleme unüberwindbar.

Beispiel Modultechnik: Da die hochradioaktiven Bereiche der WAA nach Inbetriebnahme von Menschen nicht mehr betreten werden können, wurde die Anlage mit Modulen konstruiert, die später zu Reparaturzwecken einzeln herausgeholt werden sollten. „Da wurde wild rumkonstruiert, ohne die Anlage jemals reparaturfreundlich zu machen.“ (Sailer)

Beispiel Brandschutz: Selbst auf dieser einfachsten Ebene gelang es nicht, die einzelnen Prozeßabschnitte der Wiederaufarbeitung wirksam durch Brandschutzmaßnahmen gegeneinander zu sichern. Immer wieder mußte der TÜV die Planungen monieren.

Beispiel Kritikalität: Die Gefahr einer unbeabsichtigten Kettenreaktion, bei der „sensible“ Stoffe eine nukleare Explosion auslösen können, bereitete den Konstrukteuren bis zuletzt erhebliche - ungelöste - Probleme.

Beispiel Bodenplatte: Dem Hauptprozeßgebäude sollte als Fundament eine „ganzheitliche“ Grundplatte von 200 Metern Länge und 60 Metern Breite ohne jeden Riß und absolut dicht unterlegt werden. Ein Vorhaben, das allen Regeln der Baukunst widerspricht.

Auch die Absicherung gegen Erdbeben und vor allem die Reduzierung der radioaktiven Emissionen blieben ungelöster Dauerbrenner in den DWK-Etagen. Chemieprozesse und Filteranlagen wurden in fast regelmäßigem Rhythmus ausgewechselt und verändert. Ohne Erfolg.

In der Öffentlichkeit war von all diesen Problemen wenig zu hören. Doch intern hat es, so der Atomexperte Klaus Traube, „schon immer gegrummelt“. Die WAA sei nie ein geliebtes Kind gewesen, die großen technischen Probleme und das erhebliche finanzielle Risiko seien von Anbeginn klar gewesen. Die Rede von der „zuverlässigen und erprobten Technik“ war für Traube nie etwas anderes als eine Sprachregelung.

Die interne Skepsis drang allerdings immer wieder durch die Kirchentür der Atomgemeinde. Am 11. Mai 1987 wurde eine Studie von RWE und Bayernwerk zur WAA bekannt. Tenor: Die Wiederaufarbeitung ist unwirtschaftlich, statt dessen solle in Wackersdorf ein Zwischenlager gebaut werden.

Noch unmittelbar vor Baubeginn in Wackersdorf, Ende 1985, plädierte der mächtigste Stromversorger RWE in der Atomwirtschaft für eine Denkpause. Das Projekt solle zunächst um einige Jahre verschoben werden.

So regelmäßig wie diese „Irritationen“ aus der Atomgemeinde kamen die Kostenexplosionen in Wackersdorf. Mit 4,5 Milliarden Mark war das Projekt gestartet. Über 5,4 Milliarden, 6 und 7,4 Milliarden wurde dieses Jahr zum ersten Mal auch von zehn Milliarden gesprochen. Doch diese Freihandschätzungen waren stets politische Zahlen. Genauso berechtigt waren die Zahlen der AKW-Gegner, daß die Anlage im schlimmsten Fall 15 Milliarden kosten könnte.

Wie auch immer: Veba-Chef Benningsen-Förder hat seine eigene Rechnung gemacht. Und danach wäre die Aufarbeitung in Frankreich um ein Drittel billiger. Dieser ökonomische Druck wird durch die ohnehin geschrumpften Zukunftsaussichten der bundesdeutschen Atomindustrie noch verstärkt. Aufträge für neue Atomkraftwerke sind nicht in Sicht, der Brüter in Kalkar wartet auf seine Beerdigung und der kleine Hochtemperatur-Reaktor HTR-Modul wurde gerade ausgemustert. Dieser Rückzug wird mit der WAA-Entscheidung komplettiert. „Die wollen sich nicht mehr überdimensional in die Atomenergie verrennen“, kommentiert Klaus Traube eine weitere wichtige Ursache für den Schwenk in Wackersdorf.

Ob es ein endgültiger Schwenk ist, bleibt für viele offen. Und selbst bei einem Ausweichen in die riesige Plutoniumküche von La Hague, „ist das Problem nicht erledigt, denn das Gefahrenpotential der Wiederaufarbeitung hat europäische Dimensionen“.

Manfred Kriener