Weg vom biologisch-physikalischen Patriarchat

■ An der Universität Bremen soll bald eine Frau „feministische Naturwissenschaft“ lehren / Auf einem Podium stellten Biologinnen und Physikerinnen anregende weibliche Forschungsfragen

Wenn Geschlechterverhältnisse durch Zahlenrelationen illustriert werden, geht manchmal auch noch unter InsiderInnen ein ungläubiges Raunen durch den Saal. So geschehen am Mittwoch in der Bremer Universität, als die Sozialwissenschaftlerin Marlis Krüger einem überfülltem Hörsaal vorrechnete, wieviel Frauen in der Bremer Naturwissenschaft einen Lehrstuhl innehaben: 124 „Professor/innen“ weist das Vorlesungsverzeichnis insgesamt für Naturwissenschaft und Technik aus, davon sind trotz des schönen Schrägstrichs nur vier weiblichen Geschlechts. Von diesen vieren wiederum arbeiten drei in dem Randbereich „Pädagogik / Didaktik“. Und nur eine der Bremerinnen, die Physikprofessorin Inge Schmitz-Feuerhake, hat sich in die „harte“ Forschung begeben. Ihr Thema: radioaktive Niedrigstrahlung. Außer in Physik stehen weibliche besetzte Lehrstühle in Chemie und Mathematik. In Informatik, Geowissenschaften und Biologie, in Elektro- und Produktionstechnik hat dagegen in Bremen noch kein weibliches Wesen einen Lehrstuhl erklommen.

Im Zeitalter des Berliner „Frauensenats“ muten diese Geschlechterverhältnisse wahrlich anachronistisch an. Nach Willen des Akademischen Senats der Universität nun soll sich die Kleingruppe der professoralen Naturwissenschaftlerinnen bald um eine weitere, eine „feministische“ Forscherin vergrößern. Ein in der Bundesrepublik bisher einmaliges Unterfangen.

Auf dem Uni-Podium am Mittwoch saßen deshalb vier Frauen, die sich an die Frage herantasteten: „Was könnte feministische Forschung in den Naturwissenschaften heißen?“ Auf dem Podium saß zudem, zumindest bis

zum eigenen Begrüßungs-Bei trag, ein Mann: Rektor Timm. Er versprach: „Ich werde mich dafür einsetzen, daß Frauenforschung hier etabliert wird. Wenn das in Boston möglich ist, warum nicht auch in Bremen. Wir wären in der Bundesrepublik die ersten.“ Mit diesen stolzen Worten trennte sich der Rektor von der Versammlung und verpaßte viel.

Die Biologinnen Jenny Kien (Regensburg) und Sarah Jansen (Braunschweig) wußten mit Beispielen zu belegen, auf welche Irrwege männlich-bornierte Forscher geraten waren. Beispiel eins: Wenn Biologen das Verhalten von Tieren erforschen, konzentrieren sie sich auf die männlichen Exemplare. Bei den Weibchen „stört“ sie der Hormonzyklus beim Forschen. Unter den Männchen wiederum interessiert die Forscher-Männer vor allem eines: Die Männchen-Männchen-Konflikte um den Rang in der Tiergruppe. Biologinnen nun stellten bei Affenhorden fest: Weniger die Männchen-Männchen-Rivalität bestimmt den männlichen Rang. Bestimmend ist vielmehr, von welcher Mutter das Tier abstammt und wie angesehen dieses Männchen bei den Weibchen seiner Gruppe ist. Auch bestimmen die Affen-Mütter, so stellten Biologinnen fest, welche Entdeckungen, welche „Kulturfortschritte“ an die nächste Generation weitergegegen werden.

Beispiel zwei entstammt der Zellkunde und ist jedeR aus dem Biologie-Unterricht nur in einer Version bekannt: Der „Wettbewerb“ unter den Samenzellen entscheidet darüber, welche den „Kampf“ um die Eizelle gewinnt und dann „aktiv“ in die Eizelle „eindringen“ kann. Biologinnen drehten diese „maßlos sexistische“ Version (Sarah Jansen) um und fragten: Welche Faktoren

sind es, die eine Eizelle eine bestimmte Samenzelle umhüllen lassen? Eine Frage, der noch keine Forscherin nachgegangen ist.

Beispiel drei entstammt der Hirnforschung. Hier lehnten es Biologinnen ab, das Verhältnis der linken und der rechten Hirnseite als eines von „sich streitenden Hirnhälften“ zu interpretieren und von einer „Hierarchie von Hirnfunktionen mit dem Ich als Kommandopunkt“ auszugehen. Jenny Kien plädierte für „nicht-hierarchische, kreisförmige, Netzwerk -Modelle“: „Wir müssen zuerst ein Vakuum in der Biologie schaffen.“ Jenny Kien mußte sich jedoch fragen lassen, warum sie das Denken in Netzen

für feministisch erkläre. Schließlich verträten auch männliche Wissenschaftskritiker diesen anti-hierarchischen Ansatz.

Sarah Jansen warb für „neue Methoden“. Dafür, „das Irrationale“ in den Erkenntnisprozeß einzubeziehen, „ökofeministisch“, „empathisch“ zu arbeiten - „hin zu einer nicht-zerstörerischen Naturwissenschaft“. Ein Beispiel aus ihrem Arbeitsgebiet Tierökologie: Anstatt etwa Kojoten brutal in Eisenfallen zu fangen, dort mit Sendern zu versehen, und dann mittels Sender deren Aufenthaltsorte in freier Wildbahn festzustellen, hatte sie selbst die „mimetische Methode“ gewählt: Mit den Tieren gelebt, sich in die Tiere hineinversetzt,

die „Subjekt-Objekt-Trennung aufgehoben“ - und den Aufenthaltsbereich der Tiere „genauso gut“ lokalisiert.

Die beiden Physikerinnen auf dem Podium konnten nicht mit ähnlich sinnfälligen Beispielen aufwarten. Die Hamburger GAL -Mitarbeiterin Rosemarie Rübsamen: „Die Physik ist ein härterer Knochen. Die erste der neuzeitlichen Naturwissenschaften, die mit dem Naturzerlegen begonnen hat. Die Physik hat ein außerordentlich geschlossenes Gebäude entwickelt.“ Sie zählte einige der Grundpfeiler dieses Gebäudes auf: Das Trennen in Subjekt und Objekt, das Mathematisieren, das Denken in Hierarchien, das Trennen von Geist und Materie. Rüb

samen: „Da steckt überall patriarchalisches Denken hinter. Aber bricht nicht die ganze Physik zusammen, wenn z.B. die Subjekt-Objekt-Trennung aufgehoben wird?“ Sie bekannte: „Ich habe mehr Fragen als Antworten.“ Sie sprach sich zuversichtlich dafür aus, Frauen in die Physik hineinzuschicken: „Ich bin ziemlich sicher, wenn eine Gruppe von Frauen gemeinsam forscht, daß da was anderes rauskommt. Aber ich weiß nicht, warum.“

Die Bremer Physik-Hochschullehrin Hannelore Schwedes hielt es ebenfalls für völlig verfrüht, von einer weiblichen Physik zu sprechen. Die wenigen Physikerinnen seien in der Regel so isoliert, daß sie sich notgedrungen anpaßten: „Physik wird von Männern für Männer gemacht.“ Doch allein aus ihrer Forschungsnische, der Didaktik, entwickelte Hannelore Schwedes eine Reihe von Fragestellungen, die Frauenforscherinnen einige Jahrzehnte lang beschäftigen könnten: Was hindert Frauen daran, sich Naturwissenschaften anzueignen? Brauchen Mädchen im Physik-Unterricht einen anderen Lehrplan? Wo paßt Naturwissenschaft für Frauen und wo nicht? Und eine Lebensaufgabe: „Das Verhältnis von Frauen zur Natur zu klären.“

Was genau die noch zu ernennenende künftige feministische Naturwissenschaftlerin erforschen soll, tüftelt derzeit eine Arbeitsgruppe des Akademischen Senats aus. Sie veranstaltete Donnerstag und Freitageigens ein Expertinnen-Hearing. Aber schon nach den zwei Stunden Podiumsdiskussion stand fest: Eine zusätzliche Professur, und sei sie noch so hochkarätig besetzt, wird längst nicht ausreichen, den weiblichen Wissensdurst zu stillen.

Barbara Debus