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Seh'n oder Nichtseh'n

■ N 3: „Radio: mehr Programme, mehr Vielfalt?“ Hörer fragen Programmdirektoren

Wer es bisher noch nicht glauben wollte, daß Radiohörer (und Fernsehzuschauer) für Programmdirektoren nichts weiter sind als eine nach Effizienzgesichtspunkten hin-und hergeschobene Einschaltquotenmasse, hat hoffentlich am Mittwoch die schwadronierende Hörer-fragen-Programmdirektoren antworten nicht-Veranstaltung gesehen. Unter der Leitung von Michael Wolf Thomas, Medienredakteur beim NDR, bekamen drei Programmdirektoren Gelegenheit („Rufen Sie uns an!“, heißt die Sendereihe), sich gegen telefonische Hörerkritik nach allen Regeln der salbungsvoll kaschierten Anmaßung zu verteidigen: Jürgen Kellermeier (NDR), Karola Sommerey (RB) und Wolfgang Seifert (SFB). Der aktuelle Anlaß: Am 1. April hat der NDR seine hochberühmte Wortwelle NDR 4 gestartet, am 3. April ist die neue Programmstrukur bei Radio Bremen in Kraft getreten.

Diese Veranstaltung inhaltlich zu kritisieren, hieße, ihr eine inhaltliche Bedeutung zu unterstellen. Davon kann aber keine Rede sein. Allein die Inszenierung war - wenn auch technisch zu legitimieren - ein Graus: Jeder Anrufer wurde, ganz konkret, auf den Tisch gelegt, gewissermaßen über den Tisch gezogen: Michael Wolf Thomas nahm jeweils den „Hörer“ (im doppelten Sinne) ab und legte ihn aus der Hand. So blökten die Stimmen halt-und gestaltlos auf der Tischplatte herum. Natürlich: Man konnte sie, Wunder der Technik, im ganzen Studio verstehen, doch dieser Umgang mit den Hörern war eine stumm-verräterische Geste der Verachtung. Außerdem hatte man, wie Michael Wolf Thomas grundehrlich zu Anfang sagte, die vielen Anrufer „sortieren“ müssen. Auch dies eine sendetechnische Notwendigkeit, gleichzeitig aber mehr: Man hatte nämlich Anrufer ausgewählt, die in der Summierung den Eindruck erweckten: Es gibt so viele spezielle Hörerinteressen, daß man als Programmdirektor auf die Hörer zuallerletzt Rücksicht nehmen kann. So waren die Direktoren von Anfang an fein heraus: mehr avantgardistische Musik, mehr Kindersendungen, Ärger über die neuen Sendeplätze und -zeiten - alles schön „individuell“, schwer unter einen Hut zu bringen. Und die farblos-technokratischen Programmdirektoren redeten sich heraus, quakten vom „Mut zur Veränderung“ und empfahlen den Hörern, „ein bißchen zu suchen“. Fast überflüssig zu sagen, daß sich diese Hierarchen nur im Anstaltsjargon ausdrücken können: „radiophone Sendeformen“, „Frühstrecke“, „Programmelemente“ und - Inbegriff des Insidersprachgebrauchs - „der Nebenbeihörer“, den die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren stromlinienförmigen Programmen angeblich so verantwortungsbewußt „bedienen“ wollen, nachdem sie ihn seit Jahren dahin konditionieren. Doch wie lösen die Direktoren den Widerspruch, daß sie den „Nebenbeihörer“ hofieren, aber in immer kürzeren Abständen Sendungen abschaffen, andere verlegen und verändern, die Hörer also zum konfusen Springen nötigen? Denn eins ist sicher: Kaum haben wir uns an die letzte Programmreform gewöhnt, kommt schon die nächste. Und uns fragt keiner.

Sybille Simon-Zülch

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