„'Perspektive Berlin‘ würdigt Holocaust-Opfer herab!“

■ Der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, greift den Verein „Perspektive Berlin“ scharf an / Stein des Anstoßes: Die Aussagen des Geschäftsführers Jakob Schulze-Rohr in einem taz-Interview

Mit dem nachfolgenden Text vom Vorsitzenden des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, setzen wir die Debatte um das geforderte Holocaust-Mahnmal in Berlin fort. Rose setzt sich kritisch mit der Stellungnahme von Jakob Schulze-Rohr, Geschäftsführer der „Perspektive Berlin“, auseinander, die dieser in einem Interview mit unserer Zeitung vergangenen Donnerstag äußerte. Der Verein „Perspektive Berlin“ bezieht sich in seiner Forderung nach einem Völkermord-Mahnmal auf dem ehemaligen Gelände des Reichssicherheitshauptamtes nur auf die ermordeten Juden, nicht aber auf das Volk der Sinti und Roma.

ccm

Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma fordert ein gemeinsames Mahnmal für alle Opfer des nationalsozialistischen Völkermords auf dem ehemalige Gestapo-Gelände des Reichssicherheitshauptamtes. Ziel des Vernichtungswillens der Nazis waren in Europa die als „außereuropäische Fremdrassen“ bezeichneten Juden und „Zigeuner“. „Der Mord an den Sinti und Roma während der Nazizeit ging parallel zum Mord an den Juden.“ (Simon Wiesenthal 1988)

Dies bestreitet die „Perspektive Berlin“ und würdigt in ihren Aussagen in der tageszeitung vom 13.4.1989 mit Hinweisen auf den „Zigeunerspieß“ die Holocaust-Opfer der 500.000 Sinti und Roma herab und beleidigt sie. Das Gedenken an sie in einem gemeinsamen Völkermord-Mahnmal gebe auch dem „übergelaufenen SS-Mann“ das Recht auf Berücksichtigung.

Laut „Perspektive Berlin“ seien die „reinrassigen Zigeuner geschont und als interessante Rasse anerkannt und nicht verfolgt worden“. Der Leiter des Rassehygieneinstituts im Reichssicherheitshauptamt, Dr.Robert Ritter, dessen Dienstvorgesetzter SS-Oberführer Arthur Nebe Chef des Amtes des Reichssicherheitshauptamtes war, klassifizierte von den europäischen Sinti und Roma nur 50 Prozent der deutschen Sinti als „reinrassig“, alle anderen als „minderwertige Mischrasse“. Himmlers Plan, diese rund tausend als „rasserein“ eingestuften deutschen Sinti für „Urarierstudien“ des SS-Projektes „Ahnenerbe“ vorübergehend vom Völkermord an allen anderen Sinti und Roma in Europa auszusparen, brachten Thierak, Bohrmann und Goebbels 1942 zu Fall. Sie wurden ebenfalls und ausnahmslos aufgrund Himmlers „Auschwitz-Erlaß“ ab März 1943 in den als „Zigeunerlager“ bezeichneten Abschnitt von Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet.

Sinti und Roma waren Wehrmachtsangehörige, ebenso wie die als „gemischtrassig“ klassifizierten Juden zum Teil bis Kriegsende in der Wehrmacht waren. Nach einem Erlaß des Reichskriegsministeriums vom November 1937 sollten „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ aus der Wehrmacht ausgeschlossen werden. Da Himmlers Rassenforscher und das Amt des Reichssicherheitshauptamtes für das Aufspüren aller 35.000 Sinti und Roma im Reich Zeit bis 1942 brauchten, wurden noch Sinti in Wehrmachtsuniform und trotz hoher Auszeichnungen Anfang 1943 direkt von der Ostfront ins KZ deportiert.

Die Rassen- und Vernichtungspolitik der Nazis gegenüber den Juden und „Zigeunern“ erfolgte parallel und nach dem gleichen Plan, angefangen von den Nürnberger „Rassegesetzen“, den arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen bis in die Gaskammern. Schon 1931 begann die „NS-Auskunftei“ des „SD des Reichsführers SS“ in München mit Erhebungen über die beiden „außereuropäischen Fremdrassen“ in Deutschland, Juden und „Zigeuner“. Das Amt V des Reichssicherheitshauptamtes organisierte den Völkermord an den Sinti und Roma vom neugeborenen Baby bis zum Greis im NS -besetzten Europa bis zu den Mordbefehlen in Auschwitz und den anderen Konzentrationslagern. Im Prozeß gegen Eichmann antwortete dieser dem Richter, „ja, natürlich“ seien auch die „Deportationen der Zigeuner in die Konzentrationslager“ von seiner „Abteilung IV b4 durchgeführt“ worden.

Wie schon in einer Besprechung Heydrichs am 21.9. 1939 mit dem Amtschef der Sicherheitspolizei beschloß Heydrich auf einer Konferenz mit den höheren SS-Führern am 30.1. 1940 in Berlin, daß „als letzte Massenbewegung die Abschiebung von sämtlichen Juden der neuen Ostgaue und 30.000 Zigeuner aus dem Reichsgebiet und der Ostmark in das Generalgouvernement erfolgen“ soll. Die ersten 10.000 der 40.000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma waren schon seit 1936 und 1938 im KZ.

Ein halbes Jahr nach der Wannsee-Konferenz schickten die Nazis am 29.8. 1942 die Vergasungswagen nach Berlin aus Serbien zurück, weil dort „die Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst“ sei. SS-Einsatzgruppenleiter Otto Ohlendorf sagte 1947 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß zu den Vernichtungsaktionen hinter der Ostfront: „Es gab keinen Unterschied zwischen den Zigeunern und Juden. Für beide galt damals der gleiche Befehl.“

Den Unterschied will nun die „Perspektive Berlin“ machen und verhindern, daß beispielsweise bei Staatsakten ausländischer Gäste am Zentralen Mahnmal des gemeinsamen Völkermordes gedacht wird. Den Anspruch auf das ehemalige Gestapo-Gelände des Reichssicherheitshauptamtes haben die Überlebenden des Völkermordes an 6 Millionen Juden und 500.000 Sinti und Roma.

Romani Rose

(Vorsitzender des Zentralrats Deutsche Sinti und Roma)