Die Angst der Nachbarn vor den Teutonen

■ Der ehemalige italienische Botschafter in Bonn, Luigi Vittorio Graf Ferraris: „Die Deutschen sollen wissen und damit leben, daß die Vergangenheit noch nicht vergangen ist.“ / Zum „Europäisch-Sein“ gehöre es, möglichst alle zu überzeugen

I N T E R V I E W

Sich selbst schätzt er als „eher konservativ“ ein, „mit allerdings wohl mehr Freunden bei den Kommunisten als bei den Christdemokraten„; seinem eigenen Außenminister Giulio Andreotti empfahl er für die italienische Diplomatie „mehr Professionalität“ - und trat aus dem diplomatischen Dienst aus; den Bundesdeutschen rät er „zu mehr Selbstbewußtsein“ damit sie „nicht immer dort markig auftreten müssen, wo sie sowieso keiner angreift“: Luigi Vittorio Graf Ferraris, 61, von 1980-87 Italiens Botschafter in Bonn und derzeit als Staatsrat Mitglied des Verfassungsgerichts, zählt zu den eher untypischen Vertretern des Botschaftergewerbes: kritisch und ziemlich frei in seiner Meinungsäußerung, keine Spur taktischer Zurückhaltung. Sein eben erschienenes Buch „Wenn schon denn schon - aber ohne Hysterie“ ist eine der ganz wenigen Buchveröffentlichungen von Italienern über Deutschland, und eine Bestandsaufnahme des Verhältnisses zwischen den beiden Ländern dazu.

taz: Bekommt Ihre Art freizügiger, kritischer Diplomatie der Karriere?

Ferraris: Man soll sein wie man ist. Nach 35 Jahren im diplomatischen Dienst denke ich mehr denn je, daß Diplomatie, und sie hat sicher noch eine Funktion, dazu beitragen soll, nicht nur das eigene Land gut zu vertreten, sondern vor allem die Wahrheit zu sagen. Eine Demokratie braucht die Wahrheit, und so denke ich, muß ich als Diplomat gerade in einem befreundeten Land wie der Bundesrepublik auch etwas Innenpolitik betreiben. Gerade im Hinblick auf 1992 kann man längst nicht mehr zwischen Innen- und Außenpolitik trennen, und so müssen wir mehr oder weniger beides gemeinsam machen. Dabei muß man allerdings zuallererst das Land, in dem man arbeitet, kennen. Nicht nur die landschaftlichen Schönheiten: Man muß das Land verstehen. Das aber heißt auch wieder nicht, das Land zu rechtfertigen.

Nehmen wir eine Episode von vor einigen Jahren: Da hat Ihr Außenminister Giulio Andreotti das Wort vom „Pangermanismus“ als Synonym für die deutsche Tendenz zur Hegemonie in Westeuropa aufgenommen und damit eine schwere Verstimmung zwischen beiden Ländern ausgelöst. Wie kam das bei Ihnen an?

So ganz genau weiß ja keiner, was er gesagt hat, weil es keine wörtliche Aufzeichnung gibt. Doch so, wie er den Satz hat stehenlassen, war er eigentlich falsch. Daß ich das für falsch halte, weiß auch Außenminister Andreotti. Aber die Reaktion in Deutschland war dann auch recht überzogen. Sicher, Andreotti hat das Wort Pangermanismus gebraucht, das die Deutschen nicht gerne hören und das vielleicht auch der Gegenwart nicht ganz entspricht. Aber die Empfindlichkeit der Deutschen dagegen ist jedenfalls falsch: Die Deutschen sollen wissen und damit leben, daß die Vergangenheit eben noch nicht vergangen ist. Das gilt für ihre Geschichte wie für die unsere. Ich habe mich immer gegen die Kollektivschuldzuweisung für die Deutschen eingesetzt. Aber eine Verantwortung gibt es schon. Daß da viel Schlimmes geschehen ist, ist doch eine Tatsache; und daß da noch nicht alles überwunden ist, zeigen ja wohl die letzten Wahlen. Auch wenn nicht alle Neonazis sind, die die Republikaner gewählt haben. Aber es bedeutet, daß es da in Deutschland noch Gefühle gibt, die man bekämpfen muß. Der Satz von Andreotti war unangebracht, aber die Deutschen sollten sich daran gewöhnen, daß solche Gefühle ihnen gegenüber in Europa verbreitet sind.

Haben Ihre Landsleute nun realiter Angst vor den Deutschen?

Die öffentliche Reaktion der Italiener auf Andreotti war durchaus zugunsten der Deutschen, und es ist bezeichnend, daß man gerade das nicht hinreichend gewürdigt hat. Man sollte wirklich sehen, daß die Italiener immer viel Verständnis für die Deutschen gezeigt haben. Der Historikerstreit zum Beispiel wurde in Italien nicht breitgetreten, niemand hat gesagt, seht, die Deutschen sind eben doch alle Nazis. Sie wissen, daß ich die Deutschen gern mag. Aber die Deutschen sind ein schwieriges Volk, und darum haben wir Schwierigkeiten, ihm eine so spontane Sympathie entgegenzubringen, wie manchen anderen Völkern.

Gilt das nun kollektiv für alle Sorten Deutschen?

Natürlich nicht. Sehen Sie zum Beispiel: Ich mag die Grünen sehr gerne. Ich teile viele ihrer Ideen nicht, aber ich finde es eine gesunde Entwicklung in Deutschland, daß es radikale Bewegungen gibt, damit dort, wo immer alles so vernünftig geordnet ist, auch eine Entwicklung in die Demokratie kommt. Nur: Ich glaube, die Grünen haben gerade ihr wichtigstes Element, das der Frischheit, nicht ausgenützt, sie haben sich ganz schnell in ein Establishment verwandelt.

Italienische Grüne beklagen sich oft, daß deutsche Grüne sich ihnen gegenüber arrogant aufspielen.

Das habe ich leider auch gehört. Offenbar wollen die deutschen Grünen wieder mal typisch deutsch die allerbesten sein. Nehmen wir nur die Sache mit dem Katalysator: als da nicht alle gleich mitmachen wollten, sagten sie, dann machen wir's eben alleine. Das ist genau der falsche Weg: europäisch können wir nur sein, wenn wir möglichst alle überzeugen. Dabei wären gerade die Grünen diejenigen, die ein neues Deutschland vertreten sollten. Es gibt ein Deutschland, das irgendwie ganz Europa gehört, Benedetto Croce hat es einmal „das Deutschland, das wir immer geliebt haben“ genannt. Aber wenn die Deutschen nur deutsch sein wollen, kommt genau das Deutschland heraus, das wir nicht wollen. Unsere Grünen in Italien zum Beispiel sind sicherlich schwächer, aber sie sind irgendwie echter.

Nicht nur die Grünen lamentieren über deutsches Vormachtdenken; in Bagnoli haben Stahlarbeiter die Deutschen für die Schließung ihrer Werke verantwortlich gemacht. Gibt es die Angst vor einem Wirtschaftsimperialismus der Deutschen?

Natürlich. Was bedeuten die Deutschen für den normalen Italiener? Sie sind effizient. Sie arbeiten gut, alles, was sie machen, gelingt - und das macht Angst. Ich glaube aber nicht, daß das die Angst vor der Effiziens eines Systems ist und auch nicht gegen die Deutschen als solche geht. Es ist die Angst vor den Deutschen, die zu uns kommen und sich als Vertreter des Mutterlandes schlechthin aufführen, und darauf reagieren die Leute negativ. Die Deutschen können große Sympathien genießen, haben große positive Eigenschaften. Aber sie sollen, nochmal betont, nicht vergessen, daß sie ein schwieriges Land sind, und es gibt, wie Ralph Giordano einmal geschrieben hat, eben die Last, ein Deutscher zu sein. Für uns ist es grundwichtig, das zu verstehen. Aber die Deutschen müssen auch verstehen, daß die anderen so denken. Wenn sie das nicht verstehen, sind sie absolut auf dem falschen Weg.

Das Gespräch führte Werner Raith