Die neue atomare Großmacht links und rechts des Rheins

Frankreich und die BRD wollen ein gemeinsames Atomprogramm entwickeln / Veba-Vorstoß und die Aufgabe von Wackersdorf sind nur ein Teil der neuen deutsch-französischen Atompolitik  ■  Aus Paris Georg Blume

Der spektakuläre Deal zwischen der deutschen Veba und der französischen Aufarbeitungsfirma Cogema über die zukünftige Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente in Frankreich ist nur ein Bestandteil des in dieser Woche geschnürten deutsch -französischen Atompakets. Am Donnerstag unterzeichneten die Reaktorbauer Framatome und Siemens in Paris ein seit geraumer Zeit vorbereitetes Vertragsabkommen, das die Gründung einer gemeinsamen Filiale für den Reaktorexport in aller Welt vorsieht. Gleichzeitig erhob die Electricite de France (EdF) - weltweit größter Elektrizitätsmagnat - mit den Worten ihres stellvertretenden Vorsitzenden Remy Carle die Stimme und verkündete eine für Frankreich ungewöhnliche Bereitschaft zur Aufgabe der nationalen Souveränität im Nuklearsektor: man will künftig mit den Deutschen gemeinsam marschieren.

In den Verträgen und Ankündigungen von heute steckt das deutsch-französische Atomprogramm von morgen:

-die langfristige Angleichung des Entsorgungskonzepts beider Länder (Veba, Cogema)

-der gemeinsame AKW-Export

-„Risikoexport“

-in die Dritte Welt (Framatome, Siemens)

-die Entwicklung einer deutsch-französischen Reaktorlinie für die Zukunft (Framatome, Siemens).

Die Ziele haben sich die Atommanager wie gewohnt hoch gesteckt. „Unsere Zusammenarbeit gilt dem Bemühen, in Europa einen Industriepool zu schaffen, der weltweit an erster Stelle liegt“, erklärt Framatome-Chef Jean-Claude Leny die neuen deutsch-französischen Interessen. Der Einklang zwischen den Atomwirtschaftlern beider Länder stammt freilich nicht von gestern. Die seit Jahren andauernde Krise in der gesamten Atombranche hat die Manager beider Seiten schließlich zum gemeinsamen Handeln gezwungen.

„Wir haben ein schwieriges Problem: Es werden keine Kraftwerke mehr gebaut“, gibt der Chef der französichen Atomenergie, Jean-Pierre Capron, heute zu. „Der Atomwirtschaft stehen zehn magere Jahre bevor.“ Mit zehnjähriger Verspätung gegenüber den USA, aber auch später als in der Bundesrepublik muß Frankreichs Atomprogramm das „Ende der Triumph-Ära des Atoms“ ('Le Monde‘) feststellen. Doch nicht genug, daß niemand mehr AKWs bauen will, und sich Deutsche und Franzosen die letzten Brocken in der Dritten Welt im Kampf mit den US-Amerikanern nun lieber gemeinsam sichern wollen. Schlimmer noch: Ohne ein Endlager und mit dem ökonomischen und sicherheitstechnischen Scheitern des Schnellbrüters „Superphenix“ in Frankreich (der schwerer wiegt als die langsame Beerdigung von Kalkar) ist der Atomkreislauf über die Wiederaufarbeitung zusammengebrochen.

Meßlatte für die aktuelle Krise der französischen Atomindustrie ist in erster Linie auch der Stellenabbau in der Branche. Schon spricht Frankreichs kommunistische Gewerkschaft CGT von der Atomwirtschaft als „Metallindustrie der neunziger Jahre“ und kündigt in Frankreich Tausende von Entlassungen an.

Doch wie dem auch sei: Das Krachen im Gebälk ihrer einstmals großartigen Zukunftsschlösser haben die Atommanager diesmal bemerkt. „Eine der Bedingungen für unseren Wiederaufschwung ist die Entwicklung eines für Deutschland und Frankreich akzeptablen Reaktors, der dann zur europäischen Norm wird“, bemerkt CEA-Planer Capron. Die atomare Wunderformel heißt heute: Europa als Weltmacht des AKWs. Das klingt nicht originell und verspricht doch eine neue Frontstellung, zumal für die Atomkraftgegner.

Wieviel mit dem Siemens-Framatome-Vertrag auf dem Spiel steht, zeigte sich, als der französische Industrieminister vergangene Woche im Auftrag des CEA die Vertragspartner zunächst zurückpfiff, um sicherzugehen, daß die Pariser Regierung weiterhin „in der Atomexportpolitik mitregieren kann“. Tatsächlich bindet sich der Atomstaat Frankreich, dessen Unabhängigkeit nach wie vor gepriesen wird, mit den neuen deutsch-französischen Übereinkünften erstmals in einem solchen Maße „konzeptionell“ in der Entwicklung seiner Atompolitik an ein zweites Land. Daß dazu die Bundesrepublik auserkoren ist, verspricht dem AKW-Widerstand einen heißen Tanz.

Unter Mitarbeit von Mycle Schneider