Kluge Entscheidung

Zur Erklärung der Gefangenen aus der RAF  ■ K O M M E N T A R E

Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo unterbrechen ihren Hungerstreik. Das ist eine Entscheidung, wie sie angesichts der in den letzten Tagen entstandenen Situation menschlich und politisch klüger nicht hätte ausfallen können.

Mit ihrer Erklärung holen die Gefangenen die existentiell menschliche Dimension dieses Hungerstreiks ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zurück. Auf ihr allein basierte seit der Veröffentlichung der Auftakterklärung von Helmut Pohl die beispiellose Breite der Unterstützung für die Forderungen der Gefangenen. Die scheinbar seelenlose Entschlossenheit, die auch vor Toten in den eigenen Reihen nicht zurückzuschrecken schien, verdrängte jedoch in den letzten Tagen mehr und mehr das menschliche Anliegen der Gefangenen. Die Anschlagserie draußen tat ihr übriges, das alte Trugbild der aus den Gefängnissen gesteuerten RAF zu rekonstruieren. „Der Hungerstreik ist keine RAF-Aktion... Wir sind auf einem anderen Terrain“, heißt es jetzt. Das kann nur bedeuten, daß das Ziel weder die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes mit anderen Mitteln drinnen noch die Provokation von Anschlägen oder Attentaten draußen ist. Es geht allein um die „Vermenschlichung“ der Haftbedingungen.

Politisch eröffnet die Entscheidung Handlungsspielräume, wie sie in den letzten Tagen niemand mehr für möglich hielt. Dem von den SPD-geführten Ländern als Bedingung für eine Zusammenlegung in kleinen Gruppen geforderten Abbruch des Hungerstreiks kommen die Gefangenen weit entgegen. Wichtiger: Die Hungerstreikenden haben den von Bundeskanzler Kohl beklagten „Druck auf den Staat“ für jeden sichtbar heruntergefahren. Den unionsregierten Ländern und dem Bundeskanzler wird es jetzt schwerer fallen, Bunkermentalität und Gefühlskälte als Staatsräson zu verkaufen - auch der eigenen christlich gesonnenen Klientel. Die Vorschläge des Verfassungsschutzes und der SPD-Länder werden ihre Sogwirkung auf die Unbelehrbaren nicht länger verfehlen.

Niemand sollte sich zurücklehnen. Die Gefangenen haben die Uhr zurückgedreht, angehalten haben sie sie nicht. Für Gabriele Rollnik und Rolf Heißler ist heute der 46. Hungerstreiktag.

Gerd Rosenkranz