Die nächste Sintflut kommt bestimmt

■ Die ökologische Katastophe verhilft dem Altem Testament zu neuer Aktualität

16. April. Sonntag Jubilate. „Jauchzet Gott in allen Landen.“ Pastor Helmut Suhlrie hat mit dem Pflichtprogramm des Kirchenjahrs inzwischen so seine Schwierigkeiten. Nicht, daß er irgendeinen Grund sähe, Gott nicht mehr zu preisen, zu rühmen und zu loben. Das nicht. Aber das reicht nicht mehr. Es reicht nicht, am Sonntag vormittag sein regelmäßiges „Ich glaube an Gott den Schöpfer Himmels und der Erde“ erhoben vom Kirchengestühl in St. Ansgarii mehr oder weniger innig herunterzuleiern und sich für den Rest der Woche einen Dreck um die verdreckte Schöpfung zu kümmern.

Nein, so kann das nicht gemeint gewesen sein mit dem „Machet euch die Erde untertan“. Tschernobyl und Ozonloch, abgeholzte Tropenwälder und ölverschmierte Seevögel können nicht gemeint gewesen sein, als Gott seinen Ebenbildern und Krönungen der Schöpfung einen Blanko-Scheck zu deren Sachwaltung ausstellte.

Was Gott stattdessen gemeint hat, hat Pastor Suhlrie im Alten Testament, jener Sammlung von Mythen und Gleichnissen über ein gottgemeintes und - wohlgefälliges Verhältnis Mensch-Natur mit der Schöpfungsgeschichte am Anfang, gefunden und dabei dessen wiedergewonnene Aktualität gleich wiederentdeckt. Ja, auch Gott kommt da als mächtiger Herr über Elemente und Gezeiten, über Tiere und Pflanzen daher. Zum Beispiel, wenn er sich das Meer teilen läßt vor seinem aus Ägypten fliehenden auserwählten Volk, wenn er Daniel in der Löwengrube gegen alle Gesetze natürlich-animalischer Freßgier bewahrt oder seinen Propheten Jona von einem Walfisch vor dem Sturm retten läßt, den er ihm zuvor strafend geschickt hatte.

Aber auch das steht im Alten Testament: Daß Gott sich den menschlichen Mißbrauch der von ihm verliehenen Macht über die Erde sehr entschieden zu verbitten weiß: Zum Beispiel beim Turmbau zu Babel, jenem Gleichnis auf gottvergessene Selbstüberschätzung technologisch-menschlicher Fähigkeiten, die statt des geplanten Himmelssturms die irdische Zerstreuung in aller „Herren und Frauen Länder“ nach sich zieht, wie Pastor Suhlrie mit feministisch beeindrucktem Sprachsensorium erinnert. Oder der Sintflut, der tödlichen Erinnerung daran, daß auch mit Gottes Geduld und Güte irgendwann Schluß ist.

Und worin besteht die menschliche Hybris, an die die Drastik des Alten Testaments so eindrücklich und drakonisch erinnert? Darin, daß wir vergessen, unter welchen Konditionen wir als Gottes Statthalter auf Erden eingesetzt sind, nämlich der Maßgabe, sie in seinem Sinne, im Sinne der Erhaltung und Bewahrung der Schöpfung zu verwalten.

Sollte also eine zweite Sintflut fällig sein? Pastor Suhlrie stellt die rhetorische Frage, nur um sie zu verneinen. Die gedachte Antwort, die zu finden er der Gemeinde überließ, wird wohl lauten: Für die nächste Sintflut brauchen wir keinen Gott mehr. Wir sind geradewegs dabei, sie selbst zu machen.

K.S.