Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort. Heute: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E 8 9

Taztäglich stellt sich vielen Menschen in unserer wertefeindlichen, gottlosen Gesellschaft die Frage nach dem Woher und dem Wohin. Denken wir nur an Adolf Langhans und den Verlust des germano-spirituellen Daseins. Dann kann es schon mal passieren, daß junge Leute zu dem Entschluß kommen, ihrem Leben gemeinschaftlich Sinn zu verleihen. Sinn sagen sie sich, Sinn, Sinn, Sinn muß her, und schon haben sie schwuppdiewupp eine Singespielgruppe oder eine Zeitung gegründet. Solche Maßnahmen aus dem seelsorgerischen Bereich haben durchaus ihre Berechtigung, und wir alle sollten für diese Gemeinschaften eine Portion Respekt aufbringen vor soviel Selbsthilfe, die zum Rettungsanker im wogenden Meer der Orientierungslosigkeit werden kann. Von vielen Vereinigungen ist bekannt, daß sie eine nützliche Stellung im Miteinander einnehmen und die Multipluralität bereichern.

Ist man sich erst einmal einig, kommt die Sinnhaftigkeit wie von selbst, jede und jeder hat jetzt ihren/seinen Platz, den sie/er vorher nicht hatte, so daß allein schon wegen der Platzbeschaffungsmaßnahme die Freude gar nicht ausbleiben kann, welche fortan in Liedern ihren Ausdruck erhält: „Ein feste Burg ist unsere taz“. Trotzdem: Glaubenskrisen bleiben nicht aus. So geschieht es, daß alle paar Jahre die Sinnschaffungskommission ein Selbstversicherungsunternehmen veranstaltet, wobei ein lautes Getöse anhebt (Jubiläum, Fest, Gratulationen), dessen einziger Zweck nichts weiter als die Erzeugung von Lautstärke ist, die darauf verweisen soll, es stecke etwas dahinter, nämlich das Glaubensprojekt. Wo es lärmt, sind auch Verursacher vorhanden. Nach diesem selbstsuggestiven Akt der Firmung („Wahrlich, wir existieren“) werden flott die nächsten zehn Jahre in Angriff genommen.

Eine Zeitung für das eigene Heil zu betreiben ist zweifellos weitaus anstrengender als einen Filmclub oder eine Batikgruppe zu führen, dafür ist hernach der Festrummel aber auch umfassender: Nicht nur, daß die Produktions-Kurve von Schriften zur taz-Exegese schwindelerregende Höhen erreichte, auf einer eigens dazu organisierten Zusammenkunft wurde ein Teach-in (früher: Bibelarbeit) abgehalten, wo man um Besserung und Stärke rang. Damit nicht genug: der Einsegnung eines neuen Glaubensgebäudes (Sinnerweiterung) folgte ein abschließender taz-Dienst im Tempeldom, zu dem sich eine dermaßen große Anhängerschar einfand, daß die Betbänke in der Mitte und die Seitenschiffe hoffnungslos überlastet waren. Viele mußten ihr Bekenntnis im Stehen ablegen. Ich glaube, daß es eine linke Tageszeitung in der BRD gibt, ich glaube, daß die taz ein rot-grünes Oppositionsblatt ist, ich glaube, taz Hoch 10 ergibt „tazche voor tazche“ zehn Jahre Pressefrechheit, welchselbige erfunden werden müßte, gäbe es sie nicht bereits. Aber es gibt sie ja. Was zu beweisen war.