DER FRIEDHOF LEBT

■ Die taz - der Bericht

Es ist immer das Gleiche: Wir können eben keine Feste machen“, grämt sich ein Redakteur für Kulturelle und nippt noch mal am Plastikbecher mit dem Tempodrom-Jubiläumssekt. Eigentlich sieht er an diesem Abend auch nicht freudiger aus als am Abend zuvor, wo er schon auf der von selbsternannten Autonomen (das waren noch nicht mal selbsternannte, weil: schlecht erzogene Kinder, die sich den ersten Vollrausch ihres Lebens umsonst antun, haben doch nichts mit solchen politischen Begriffen zu schaffen! d.säzzer) gesprengten taz -intern-Party sich vergeblich amüsieren versuchte. Auch seine KollegInnen begehen das Ereignis mit eher grimmiger Miene. Da kommt statt Freude Schadenfreude auf, nämlich darüber, daß die eigens aus Hamburg angereiste GALerin und designierte Akademiepräsidentin Adrienne Göhler draußen vorm Tor steht, keine Karte hat und auch keine mehr kriegt - also draußenbleiben muß. Zu dumm nur, daß sie mit Astrid Proll gekommen ist, denn die kann und will man nicht einfach dumm dastehen lassen. Natürlich werden sie noch irgendwie reingeschleust, obwohl der Laden bereits knackvoll ist. Ob aus Liebe oder aus Haß - dies ist unsere kleine Zeitung, und da hat man hinzugehen wie zu Omas 80.Geburtstag. Womit ich keinesfalls darauf anspielen will, daß „Tornado„-Günther den Abend omahaft moderiert habe, im Gegenteil. Unerschütterlich lotst er mit seinem jungenhaften Charme, der der Zeitung eher abgeht, auch durch die Hängepartien des Programms. Einhellige Begeisterung für das Jubiläums-Video mit Statements von mehr oder weniger Prominenten zur taz, in dem auch die Dissidenten, allen voran Thomas Kapielski, ihre mehr oder weniger komische Meinung sagen dürfen. Ob Diepgen oder Kewenig - damals gab es wenigstens noch was zu lachen (beispielsweise die Aufhebung der Mietpreisbindung, irrsinnig komisch, oder die Volkszählung, tagelang bin ich aus dem Kichern nicht rausgekommen!! d. säzzer), währenddessen die Ausflüge der AL-Spitzen ins Komische eher unfreiwillig passieren. Man kann eben seine Vergangenheit nicht abschütteln, und deshalb erinnerte mich der folgende Programmpunkt „taz - pro und contra“ an die Schwuz-Abende der mittleren siebziger Jahre: Da wurde die Musik abgestellt, das Licht angedreht und dann ernsthaft diskutiert. So auch hier, obwohl das lustig sein sollte und auch ganz anders geplant war: Leider hatten die vorgesehenen Pro- und Contra-Anwälte, Dieter Kunzelmann und Alice Schwarzer, in letzter Minute doch noch Wichtigeres zu erledigen, als ihren Lektürefreuden oder -leiden öffentlich Ausdruck zu verleihen. Also blieb als einziger der echte Elitz, der aus dem Fernsehen, bei dem die Trennungslinie zwischen Spaß und Ernst offensichtlich mit meiner eigenen aber auch gar nichts zu tun hat. Es war weder richtig ernst noch richtig Satire, wobei er es bei dieser Auswahl der Sachverständigen auch nicht leicht hatte. Die hinlänglich bekannten guten Gewissen des Blattes, Peggy Parnass und Pieke Biermann, leierten mal wieder ihre hinlänglich bekannten Standpunkte ab, warum die Zeitung ist, wie sie ist, und trotzdem eine grandiose Zukunft hat. Bommi Baumann durfte erwartungsgemäß seine Grußadresse an die Hungerstreikenden loswerden, und einzig komisch war der frühere Spion und heutige 'Lui'-Herausgeber Heinz Nieyhaus, dessen Namen keiner richtig schreiben kann (man könnte schon: Nouhuys, die k.), der aber nichts desto trotz wohl gar nicht wußte, auf welcher Veranstaltung er denn gelandet war, und ständig Namen von Redakteuren anderer Postillen erwähnte. Das kann natürlich daran gelegen haben, daß es sich bei seiner Einladung auch nur um eine Verwechslung handelte, denn eigentlich sollte ein Herr von der 'Bild‘ erschienen, der einen ähnlich schwer schreibbaren Namen trägt. Dem Publikum wars recht, durfte es doch für oder gegen die Zeitung schreien, brüllen und trampeln. Viel besser als diese laue Runde gefiel mir da der Vorschlag eines Ex-tazlers, man solle doch wie damals im alten Rom das Publikum über einzelne Redakteure und Schreiber abstimmen lassen. Aber wahrscheinlich wäre das wieder eins dieser sinnlosen Tabus gewesen, die diese Zeitung nicht mehr bricht.

Schon zupft mich meine Freundin Irene am Ärmel, weil sie glaubt, in mir den Richtigen gefunden zu haben, um mal so ordentlich über jenes Publikum herzuziehen, bei dem die Leser-Blatt-Bindung noch stimmt. Sie findet nämlich das ästhetische Niveau ziemlich im Keller, worauf ich sie nur beruhigen kann, daß es darum auf taz-Plena keinen Deut besser bestellt sei.

Nach dem Bad in der Menge zieht es uns nun in das „Promi -Zelt“, dessen Eingang zunächst noch streng bewacht wird. Hier soll sich also die Creme des deutschen-Links -Intellektualismus tummeln - abgeschirmt vom Fußvolk. Diese Klassengesellschaft paßt natürlich gar nicht zum Bild einer radikalen, linken Zeitung, aber gottseidank hatten sich die Autonomen an diesem Abend mal frei genommen und so konnte der Verkauf der Sektflaschen ungestört vor sich gehen. Tatsächlich ging es hier schon um Klassen mondäner zu - und auch radikaler: So äußerte ein Kollege vom 'Stern‘, man könne doch einen Teil der Belegschaft mit viel Geld nach Kreta schicken, und der andere Teil macht dann mal eine Zeitung. Allerdings habe ich nicht mitbekommen, ob dieser Vorschlag bis zur Zwangsoptimistin und Chef-Redakteurin Georgia Tornow durchgedrungen ist, die alle Hände voll damit zu tun hatte, die Zeitung auch in ihrem gegenwärtigen Zustand anzupreisen. Außerdem wurde noch jemand gesucht, der ein gültiges Visum für die USA in seinem Paß hat und somit in den Genuß käme, mal auf Senatskosten Washington live zu erleben. Talking 'bout professionals: Juppie von der UFA suchte schon einen Kino-Verleih für das taz-Video, der Rest besprach andere Klein-Deals oder beschwor die Erinnerung an die Vergangenheit, denn die große Mehrheit der hier Versammelten hatte sich schon längst von diesem Blatt als Arbeitsplatz verabschiedet. Alte Kumpels, jetzt über Deutschlands Medienlandschaft verteilt, fielen sich um den Hals, nichts war wie früher, und das war nur gut so. Veteranenbünde unter der Ägide von Benedikt Mülder kamen mit zunehmender Laune auf die Idee, doch mal wieder eine Ausgabe der taz zu machen, und überhaupt ist diese Zeitung ganz toll, wenn man nichts Näheres mit ihr zu tun hat. Hinter vorgehaltener Hand wurden grobe Gemeinheiten ausgetauscht, so über das Fahrrad von Christian Ströbele, und das gehört nun mal zu jeder guten Familienfeier. Mein Gott, was hätte aus dieser Zeitung werden können.

Lutz Ehrlich