EIN FREIER BEI DER FEIER

■ Kater haben oder Kater sein

Feste feiern, bis sie fallen. Das ganze Wochenende eine einzige Zehnjahresfeier, dabei gibt es eigentlich überhaupt nichts zu feiern. Die Zeitung hat allein im letzten Jahr so viele ihrer hellsten Köpfe abgeschlagen (Die so helle aber auch nicht sein können, weil bei Diskussion mit einigen dieser Köpfe NICHTS, aber auch wirklich NICHTS an Inhalten vertreten wurde! d. säzzer), besonders in der Kultur ein Aderlaß sondergleichen, also gibt's was zu feiern? Vor allem sich selbst zu feiern, schon das eine widerliche Angelegenheit. Wir hatten es ja so schwer, alle denken, wir wären einmal links und radikal gewesen. (Wieso gewesen, aber daß es heute mehr Arbeit bedeutet, gegen festgefahrene Linien anzudenken und -leben als noch vor zehn Jahren, das fällt mir schon auf! Und daß dies auch bedeutet, sich selbst zu hinterfragen - aber sowas ist ja immer unbequem! d. säzzer) Das hätte die taz nie von sich behaupten sollen, man hätte '79 gleich eine Vorstandsetage errichten sollen, mit ein paar Pfannkuchengesichtern (Es gibt in Japan ein Sprichwort: Ein Affe lacht über den Hintern des anderen! d. säzzer) und aus ihren Mündern hätte es getrieft: „Wir wollen eine linke FAZ“ (Zitat von '89). Kein Schwein hätte einen Pfennig gespendet. Ich hätte nie zehn Jahre Geld für ein Abo aus Solidarität verplempert. Und heute ist man der Idiot, wird für 55 Pfennig pro Zeile Hungerlohn nachts auf die Piste geschickt, soll dies und das berichten, soll nicht die Menschen verachten, die einen in der U-Bahn blöde anmachen, darf nicht die schönen Frauenärsche beschreiben, die einen anlächeln (Hast in der Schule keine Biologie gehabt: Ärsche, die lächeln! Unsinn! d. säzzer), darf nie wieder Neger sagen, Schlitzauge denken, Discotheken voll finden, unsolidarisch Kritik üben an einer hart arbeitenden Off -Theatergruppe, einfach keine Ahnung haben von etwas. Nein, wir sollen nach zehn Jahren Nörgelei endlich seriös werden, stinkelangweilig und ausgewogen linksliberal, ein bißchen fetziger als die 'Zeit‘, nicht ganz so zeitgeistig wie 'Tempo‘, eine bleiern schwere rotgrüne halbamtliche 'FAZ‘. Dann aber auch bitte mit dem dort üblichen Zeilengeldern und Löhnen und angeblich asexistischen Brillenanzeigen.

Also, ich soll hier über die Feierlichkeiten Bericht erstatten, wenn es jemand interessiert: Das Desaster begann eigentlich schon am Freitag mit einem taz-internen Fest im neuen Gebäude Kochstraße. Umsonst saufen, überall betrunkene, endlich einmal gutgelaunte RedakteurInnen. Einige Punks-Antiimpiautonome schmeißen Flaschen aus dem zweiten Stock auf die Straße. (Wenn das Leute aus dieser Schublade waren - die der Autor ja zu brauchen scheint -, dann ist es eine Beleidigung für alle Leute, die sich als Punk, Autonome, Antiimperialisten verstehen: das waren einfach Leute, die mit dem D-Zug durch ihre Kinderstube gebraust sind bzw. die eine solche nie gehabt haben! d. säzzer) - „Du, da müssen wir aber mal drüber diskutieren“ plündern das Büffett, machen ein Lagerfeuer auf der Straße, bis Martin Kempe ein Einsehen mit der Polizei hat (die übrigens in den Fällen, in denen aus Fenstern Gegenstände fliegen, immer ungebeten und ungerufen auftaucht! d. säzzer) und die Fete um halb zwei abbricht, das ist staatstragend, wir wollen doch den neuen Senat nicht gleich provozieren (Mit einer Fete den Senat provozieren!???! Verkehrte Welt! d. säzzer), nachher kriegen wir keine Interviews mit Mompi mehr. Also Feierabend, ab ins Auto, zu acht im R5, aber da kommen schon die Zivis, sie wollen doch nicht etwa noch fahren, nein Herr Oberwachtmeister, keinen Meter wollten wir fahren. Bei Ihrer Fahne, also Nachtbus.

Nächster Tag: Immer noch betrunken, kurz vor eins zu Kaisers, adrette verfickte Pärchen (sag mal, Herr Autor, hat er vielleicht Sexualprobleme? Eben das mit den Frauenärschen, dann dies mit dem verfickten Pärchen?? Was sagt denn der Therapeut dazu, oder haste den auch nicht?? d. säzzer) am Wursttresen. Also auf zur Kongreßhalle, nee, darf man auch nicht mehr sagen: ab sofort schön umständlich „Haus der Kulturen der Welt“. Nichts los beim Teach-in, den Begriff versteht heute eh keiner mehr. Aber dafür gibt's Erbsensuppe gratis, ganz schön großzügig, für eine Zeitung „die rote Zahlen schreibt“ (O-Ton des Vorstands bei der Pressekonferenz).

Also berichterstatten: abends im Tempodrom, ausverkauft, im Eingang stehen die feisten Ordner (Probleme mit fetten Menschen hat er also auch, vielleicht Angst, im Alter mal so dick zu werden wie der eigene Herr Vater?? d. säzzer), die nur ihren Job machen (wer hat die bestellt?), bis viertel vor zwölf kommt niemand ohne Karte rein, nur weil einige Saftsäcke auf ihren Ärschen vor der Bühne sitzen wollen und deshalb der Platz nicht ausreicht. Die taz-Mitarbeiter selber haben sich ein Ordner-bewachtes VIP-Zelt in der Ecke reserviert. Hier ist man unter sich, Eintritt nur mit Presseausweis, das Gespräch mit „Lesern“ ist unmöglich, da hätte man die Leute endlich fragen können, warum sie ihr Abo kündigen. (Das teilen sie uns in ihren Kündigungsschreiben auch schon so mit! d.säzzer) Im großen Zelt eine dröge Diskussionsrunde über die Zukunft der taz, es leitet Ernst Ehlitz, der sonst händeringend die Kommentare in den Tagesthemen verliest. Das hätte er mal hier vorführen sollen, aber er wurde zum seriösen Fernsehmoderator für eine Fete. Der einzige Hammer des Abends war wie gewohnt der Tornado-Auftritt. Eine Plastikschürzen-Redakteurin der Text -Sauberkeitskommission peitscht einen Mitarbeiter aus, der etwas Sexistisch-Polenfeindliches geschrieben hat. Danach Zengö aus Ungarn, Tanzen mit Anfassen, Polonese Blankenese einmal nicht von Gottlieb Wendehals. Als krönender Abschluß ein nicht geplanter Auftritt der Indianerkommune aus Nürnberg, die schon vor zehn Jahren jede Anti-AKW -Veranstaltung manisch besessen sprengen mußte, um etwas über ihr unterdrücktes Sexualleben loszuwerden. Ein verschärftes Wochenende. Nie wieder zehn Jahre taz!

Andreas Becks