Zusammenlegung jetzt!

■ Monolog eines Gourmands übers große Fressen

Gabriele Goettle

Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! - ha, du zuckst noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch (schlägt noch mal zu). - Bist du tot? Tot! Tot!“ 1 Sie läßt den Arm sinken und tritt einen Schritt zurück.

„Bei allem Respekt, verehrte Meisterin“ - sagt der nackte zarte Herr und erhebt sich stöhnend vom Boden - „diesmal haben Sie mir fast den Rücken zerfetzt. Mit Recht, es wollte mir einfach nicht einfallen, jetzt weiß ich es wieder: 'Wie der Mond aufgeht! Wie ein blutiges Eisen.‘ Eisen, und nicht Stern, wie konnte ich das verwechseln?“

Er nimmt das Halsband ab, setzt die randlose Brille auf und steckt sich eine Gauloises an. Plötzlich schlägt er sich mit der Faust mehrmals fest auf die linke Brust, lauscht und ruft: „Alles tot!“ Dann läßt er sich vorsichtig aufs Bett nieder und schenkt ein Wasserglas voll Whisky ein. „Kommen Sie, Marie, betrinken wir uns ein wenig!“ sagt er mehr zu sich selbst und leert es in einem Zug.

„Wissen Sie, Kindchen, jeder Mensch ist ein Abgrund! Aber am meisten leide ich darunter, daß man mich nicht versteht. Gut, ich kenne das Geschäft, im internationalen Finanzkapital macht mir keiner was vor, und wenn es sein muß, erkläre ich auch jedem, was Nocken- und Kardanwellen sind, aber im Grunde ist mir das alles doch vollkommen gleichgültig. Es läßt mich kalt! Vielleicht bin ich nicht mal ein Naturwissenschaftler wenn ich's mir recht überlege. Von Hause aus liegt mir viel eher die Kunst, die Kultur. Ja, die Kultur macht menschlich! Bitte Kindchen, legen Sie doch die Lucia di Lammermoor für mich auf. Ruhig von vorn, die Höhepunkte kommen ohnehin immer zu schnell.

Gelegentlich ein bißchen Todesangst, Blutrausch, Wahnsinn, Anarchie und Barbarei, das macht empfindsam. Ich bin 60 und sehen Sie mich an Kindchen, hier die Schenkel, sehn die aus, als würden sie in drei Jahren in den Ruhestand treten? Ich bin fit! Ich werde nicht abkratzen beim Trockenrudern in einem verlassenen Keller. Herz und Kreislauf sind tipptopp, selbst der Magen, toi, toi, toi. Unberufen!

Vielleicht hätte ich Schriftsteller werden sollen oder Dramatiker. Neulich z.B., und daran sehen Sie Kindchen, daß auch das Management bei uns für die Kultur tut, was es kann, also neulich haben wir für eine Hamlet-Aufführung in Frankfurt einen großen Kühlschrank zur Verfügung gestellt, vollkommen unbürokratisch. Der steht nun auf der Bühne, unser Hamletkühlschrank, und dem armen Jungen aus der DDR ist geholfen. Ich habe fest vor, hinzufliegen, um mir das anzusehen. Zu was so ein Mischkonzern doch gut ist. Im Prinzip können wir mit allem aushelfen, was fehlt, vom Jäger 90 über den Nierensteinzertrümmerer bis hin zur Zahnbürste ist alles da, nur, welche Bühne braucht das schon?

Man beschimpft uns, aber man benutzt uns auch. Die Unterschiede sind ja allemal nur graduell. Nehmen wir den Daimler-Benz der S-Klasse. Da zeigt sich doch so recht, daß es zwischen Päpsten, Zuhältern, Militärdiktatoren, Fleischermeistern, Grünen, Abgeordneten, Taxifahrern, Topmanagern, Revolutionsführern und Zahnärzten mehr Gemeinsamkeiten gibt, als allgemein angenommen wird. Niemand verzichtet freiwillig auf ein Privileg, auch ein Sozialdemokrat nicht!

Und sie wissen das ja am besten Kindchen, keinem fällt etwas in den Schoß. Nur wer hart arbeitet und eisern am Ball bleibt, gewinnt. Ich habe meine Zeit genutzt. Jetzt bin ich ganz oben, dotiert mit mehr als zwei Millionen im Jahr. Wir sind die Elite und unantastbar. In nicht einmal vier Jahren haben wir einen Konzern aus dem Boden gestampft, der sich sehen lassen kann. Was Umsatz und Gewinn betrifft, da stellen wir alle anderen deutschen Industriegruppen in den Schatten. Wir haben Bewegungsfreiheit, wirtschaftlich und politisch. Sie glauben gar nicht, was das ausmacht, Kindchen! Viele Politiker sind die besten Angestellten unseres Konzerns.

Und die anderen? Sehen Sie, wir haben das Rüstungsmonopol, wir sind sozusagen schwer bewaffnet. Die können uns doch mal! Ich habe es immer gesagt, so ein Konglomerat ist das einzig Richtige! Satelliten, Flugzeuge, Schiffe, Autos, Lastwagen und medizinisches Know-how, nun stellen Sie sich einmal vor, Kindchen, was das bedeutet, wir sind überall! Im Weltraum, zu Lande, zu Wasser und in der Luft, ja selbst tief drinnen in der Biologie, in Zellen und Zellkernen. Wie's beliebt, zivil und militärisch.

Wir lassen uns von aggressiven Japanern nicht terrorisieren, von Amerikanern auch nicht! Die deutsche Industrie schlägt zurück, und wir sind nicht alleine, im Rücken haben wir die Deutsche Bank, ein guter Kampfgefährte seit mehr als fünfzig Jahren, wir werden nie die Waffen strecken, das können sie mir glauben ... ahhh schön diese Stelle ... il pallor funeste, orrendo che ricopre il volto mio ti rimprovera tacento il mio strazio, il mio dolore. Perdonare ti possa Iddio l'inumano tuo rigor 2, nicht übel, meine Stimme, das müssen sie zugeben.

Eigentlich sollte man Verhandlungen nur in italienisch führen, bei Gott. Sie glauben nicht, Kindchen, wie niveaulos die meisten Führungskräfte sind. Neben der mangelhaften Bildung haben sie nicht einmal eine Lebensphilosophie, keine verantwortungsvolle Weitsicht, nichts! Ein moderner Industrieführer muß nicht nur sein Handwerk verstehen, sondern sich auch in der Öffentlichkeit zu ethischen Maßstäben bekennen, zu einem Problembewußtsein in Umwelt und Arbeitsplatzfragen und natürlich auch der Friedenspolitik. Unsere wehrtechnische Produktion muß abgekoppelt werden vom Feindbild einer Gefahr aus dem Osten. Unser Feind ist die schlechte Auftragslage, die auf uns zukommt. Die müssen wir bekämpfen!

Man muß sagen, schafft das Unvollkommene weg, sonst gibt es einen Riß im Markt von unten bis oben, das ganze Land geht in Verwesung über. Aber uns geht es zu gut! Den Leuten fehlt die Schmerzerfahrung. Deshalb wissen sie nicht, daß man zwar falsche Entwicklungen leugnen kann, aber nicht den Schmerz. Und nun sagen Sie, Kindchen, weshalb leide ich hier? Wofür? Der Schmerz bildet sich um zur Scheuklappe! Und dann geht's hurtig mitten hindurch! Den Kreis meiner Gegner werde ich zu einem Lapidarium machen, das bin ich der deutschen Geschichte schuldig!

Daß wir soweit gekommen sind, hat Millionen von Menschenleben gekostet seit dem Beginn des 19.Jahrhunderts. Das Ergebnis sind unsterbliche Werke. Die kann ich mir nicht kaputtmachen lassen von ein paar debilen Politikern, Gewerkschaftsfunktionären und anderen Herren. Das Primat der Politik muß gesunden Wirtschaftsinteressen untergeordnet sein, das ist die Verantwortlichkeit des Staates, der für Moral zuständig ist und dafür, daß die Müllabfuhr funktioniert. Aber selbst vor der Moral drücken wir uns ja nicht. Die Studie haben wir ja damals selbst in Auftrag gegeben über die kriegsdienstverpflichteten Gefangenen bei uns. Immerhin, 20 Millionen haben wir gegeben. Das war kein Pappenstiel für die. Gut, 25 Prozent der Leute waren schon verstorben und hatten nichts mehr von dem Geld, an vielen Tragödien läßt sich eben nichts ändern. Die Geschichte des Fortschritts ist eine harte Lehrmeisterin, aber sie zerstückelt die Menschheit nur, um sie dann zu verjüngen. Eine neue Generation steigt aus dem Blutbad und führt gekräftigt ein großes Werk zu neuen Höhen.

Und wir verwalten es nur, sozusagen im Namen des Volkes. Sie können mir glauben, Kindchen, das ist kein Leichtes. Man ist einsam und muß einsame Entscheidungen treffen, für die man den Kopf hinhält, wenn etwas schief geht. Wenn das Land nicht in kleinkarierter Mißwirtschaft verkommen will zur Provinz, dann muß Ballast abgeworfen werden, kaltblütig, auch vom Gesetzgeber. Weg mit dem alten Gerümpel!

Nehmen Sie nur einmal das Fusionsverbot. Wirklich, ich habe nichts gegen Wirtschaftsliberalismus, gegen Wettbewerb, aber alles zu seiner Zeit. Das 20.Jahrhundert ist so gut wie zu Ende, wir stehen auf einem europäischen und globalen Schlachtfeld und sollen unbewaffnet in den Kampf gehen? Nur die Vereinigung großer und starker Gruppen macht interaktionsfähig, nur ein gewaltiger Trust kann handeln. Aber der Zusammenschluß mit MBB wird durch ein fortschrittsblindes Kartellamt behindert. Gut, sie können ja nicht anders. Aber in der Öffentlichkeit entsteht ein vollkommen verzerrtes Bild, das ist doch hirnverbrannt! Muß denn der Staat, der Wirtschaftsminister und die Minister der Länder, müssen die Gesichtsverlust vortäuschen in der Öffentlichkeit, wo den gesetzlichen Bedingungen gesamtwirtschaftliche Vorteile und überragendes In

teresse der Allgemeinheit gerade durch eine Fusion erst entsprochen werden kann? Das ist doch ein politisches Schmierentheater! Nein, ich ärgere mich nicht. Ärger ist ungesund und unwirtschaftlich. Trotzdem, man faßt sich an den Kopf, wir haben doch längst die Zusage aus Bonn, daß der Entscheid vom Kartellamt durch die Ministererlaubnis aufgehoben wird. Das sollte schon im vorigen Herbst über die Bühne sein, aber jetzt wird das durch die Medien gezerrt und schadet nicht nur dem Image der Minister, sondern auch uns. Aber so ist das, Kindchen, die Avantgardefunktion unserer Marktstrategie wird nicht erkannt, überholte Wirtschaftsordnungen wesen weiter und behindern mit zahllosen Restriktionen Entscheidungen, bei denen es um Leben oder Tod geht. Schon Karl Marx hat bündig analysiert, daß kapitalistische Wirtschaftssysteme gesetzmäßig zur Konzentration tendieren müssen. Geballte Wirtschaftsmacht ist vielleicht nicht schön, aber zweckmäßig.

Ach Kindchen, drehn Sie doch bitte die Platte um. Ja. Schön ist vieles nicht. Die Lebendigkeit ist vorbei, in den Werkhallen wird es leer und leerer, statt frohgemut schaffender Wesen entseelte Elektronik. Aber daran kommt niemand vorbei. Was einzig zählt bei der Produktion, ist Rentabilität und Kostensenkung. Da trifft niemanden eine individuelle Schuld. Wir wissen das und die Politiker wissen das. Aber noch ist die Arbeiterklasse ja nicht tot. Die Gewerkschaften machen uns nach wie vor Ärger.

So ist das nun mal auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Wirtschaftsordnung, für schwache Ware ist kein Markt offen. Und dem Produkt sieht man nicht an, wie es entstanden ist. Die Politiker müssen sich viel lernfähiger zeigen. Was sollen die ewigen Bedenken über die Folgen einer Zusammenlegung zu einer großen Gruppe? Nur eine große schlagkräftige Vereinigung dieser relevanten Unternehmen zum Konzern garantiert, daß wir durch direkte Kommunikation neue Strategien des Konkurrenzkampfes entwickeln. Marktwirtschaftlich entschiedene Firmengruppen voneinander isoliert zu halten, ist doch einfach hirnverbrannt, volkswirtschaftlich gesehen, Rechtsstaat hin oder her. Freiheit ist immer auch die Freiheit des Wirtschaftsmonopols! Wir sind auf dem Weltmarkt und in Europa, nicht mehr im biederen Nationalstaat. Aber der Konformitätsdruck wird sich als stärker erweisen als dieser altväterliche staatliche Führungsanspruch.

Und wenn Bonn weiter schläft, dann muß die Kommandozentrale in unsere Vorstandsetagen verlegt werden. Wovon leben sie denn dort? Von uns! Wir sind die nützlichsten Glieder der Gesellschaft und jede Behinderung unserer Expansionsbestrebungen ist ein staatsfeindlicher Akt, ein Anschlag auf den prosperierenden Fortschritt. Für alle umsatzrelevanten Themen haben wir, der militärisch -industrielle Komplex, die alleinige Kompetenz und Strategie. Es wäre ja geradezu hirnverbrannt, wenn es im Monopolkapitalismus keine zuverlässige staatliche Garantie für das Wachstum eines zukunftsorientierten Technologiekonzerns gäbe, einfach lächerlich! Wie die Politiker das sozialpolitisch umsetzen, das ist nun wirklich ihr Problem, dazu sind sie ja da und werden hoch bezahlt. Aus wirtschaftspolitischen Entscheidungen, von denen sie absolut nichts verstehen, haben sie sich rauszuhalten.

Was für uns jetzt absolut im Vordergrund steht, ist die sofortige Zusammenlegung mit MBB. Die Zeit eilt, es ist schon genug getrödelt worden! Große Aufgaben wie zum Beispiel eine konsequente Wirtschaftsstrategie verlangen vom Staat manchmal Erpreßbarkeit und selbst Landesverrat... So Kindchen, genug geplaudert, die Arbeit ruft. Und bevor ich's vergesse, hier habe ich schon für nächste Woche den Text mitgebracht. Nur das rot angestrichene bitte. Ich bin sicher, Kleist wird Ihnen gefallen.“

1 Georg Büchner, Woyzeck (hier gesprochen von der Domina Marie)

2 Lucia di Lammermoor, Oper in drei Akten von Gaetano Donizetti.

Lucia: „Jene kalten Todesschauer, die mit Blässe mich umweben, sagen dir in ewger Dauer, du bist Ursach meiner Schmerzen. Möge Gott dir einst vergeben dein unmenschlich hartes Herz.„