Es geht ums nackte Überleben

■ In Wackersdorf kämpft die Atomindustrie um ihre Existenz

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Der im ersten Anlauf gescheiterte Fluchtversuch der Stromindustrie aus Wackersdorf beweist nur, daß die Herren in den Vorstandsetagen der Elektrizitätswirtschaft ihr kleines Wirtschafts-Einmaleins weder bei den Politikern in Bonn oder München noch bei den Planern und Erbauern der Wiederaufarbeitungsanlage abgegeben haben. Aus ökonomischer Sicht wäre das Ausweichen nach Frankreich nur vernünftig. Der Schritt belehrt diejenigen eines Besseren, die bisher geglaubt hatten, ein Benningsen-Foerder würde die Fortsetzung des Atomstromabenteuers inclusive Wiederaufarbeitung im eigenen Lande aus ideologischer Verbohrtheit und gegen jede ökonomische Einsicht fortsetzen.

Das Geschäft mit der Atomkraft war nur solange gleichermaßen für Betreiber wie Errichter der Atomanlagen lukrativ, wie der milliardenschwere Subventionsstrom aus Bundes- und Landeshaushalten sprudelte und nach dem Motto verfahren werden konnte: Nach uns die Sintflut. Heute lassen sich die gigantischen Folgekosten nicht länger verleugnen, die auf das Unternehmen Atomenergie mit Wiederaufarbeitung, Endlagerung und Abriß der Altanlagen zukommen.

Einen „Brennstoffkreislauf“ mit Brutreaktoren - aus deren Existenz allein die Notwendigkeit der Wiederaufarbeitung abgeleitet werden kann - wird es hierzulande nicht geben. Es ist ein offenes Geheimnis, daß selbst das RWE den Schnellen Brüter in Kalkar nicht mehr in Betrieb nehmen will. Die Auseinandersetzung um Kalkar dreht sich nur noch darum, wer am Schluß die Zeche zahlt, der Bund, das Land oder die Industrie.

Der Brüter markiert jedoch nur den Anfang des dramatischen Niedergangs der bundesdeutschen Atomwirtschaft. Nach zwanzig Jahren aggressiver Exportbemühungen des Erlangener Reaktorbauers KWU - deren Mutter Siemens in Wackersdorf 1.000 Arbeitsplätze schwinden sieht - ist die Bilanz niederschmetternd. Weltweit werkelt KWU derzeit an ganzen drei Atommeilern. Die Partner in Argentinien und Brasilien bewegen sich permanent am Rand der Pleite. Aufträge für weitere Leichtwasserreaktoren im Inland wird es auch auf lange Sicht nicht geben.

Als Hoffnungsträger der Atomgemeinde galt lange die zweite „fortgeschrittene Reaktorlinie“. Auch das ist vorbei. Der Hochtemperaturreaktor THTR 300 in Hamm-Uentrop, Prototyp dieser Reaktorlinie und noch vor Jahresfrist als „Reaktor der Zukunft“ gefeiert, löst bei den Betreibern nur noch Alpträume aus. Das ruinöse Projekt soll, wenn die Düsseldorfer SPD-Regierung mitspielt, „leergefahren“ und anschließend stillgelegt werden. Für den HTR-Modulreaktor, der bisher nicht mal auf dem Reißbrett existiert, suchen die Konstrukteure bundesweit vergeblich Kaufinteressenten. Weder die Stromwirtschaft noch sonstwer will sich auf ein neues Abenteuer einlassen.

In Wackersdorf kämpfen Siemens/KWU, Nukem und Hoechst als Planer und Erbauer der WAA also auch ums Überleben der Branche. Gegenüber einer Bundesregierung und einer Landesregierung, die verbissen an ihrem sogenannten „integrierten Entsorgungskonzept“ festhalten, hat die Stromwirtschaft unmißverständlich klar gemacht, daß sie nicht bereit ist, dafür die Zeche zu zahlen. Wenn die Politik Wackersdorf unbedingt weiterbauen will, dann soll sie das tun - und dafür aber auch löhnen. Die Zeche zahlt im zweifelsfall der Steuerzahler oder der Stromkunde. In jedem Falle wir.

Gerd Rosenkranz