Antoine Waechter, Monsieur „Les Verts“, zum plötzlichen Grünen-Boom in Frankreich

MONTAGSINTERVIEW Von Georg Blume

Antoine Waechter steht heute unbestritten an der Spitze der grünen Partei in Frankreich. Seine Präsidentschaftskandidatur im vergangene Jahr brachte den „Les Verts“ im ersten Wahlgang einen Achtungserfolg von annäherend vier Prozent. Bei den Kommunalwahlen im März gelang der jungen, erst 1984 gegründeten Waechter-Partei nun der Durchbruch: Bis zu 18 Prozent der Stimmen erzielten sie in vielen Städten. In Lille kam es zu einem ersten rot -grünen Bündnis. Waechter, der seine Partei als Spitzenkandidat auch im Europawahlkampf führt, hofft, im Juni die Zehn-Prozent-Hürde nehmen zu können.

taz: Seitdem Sie Les Verts führen, machen sich die Franzosen von der grünen Bewegung ein neues Bild. Sie tragen Krawatte und vermeiden schrille Töne. Liegt darin ihr Erfolg begründet?

Antoine Waechter: Ich gebe meiner Partei ein Bild, das der Wirklichkeit der grünen Bewegung seit ihren Ursprüngen entspricht. Im Rampenlicht standen oft die Langhaarigen, Vollbärtigen und Ziegenhüter. 99 Prozent der Leute auf den Demonstrationen hatten damit von Anfang an nichts gemeinsam. Bei der Präsidentschaftswahl 1988 war es dann unser Ziel, mit dieser Medien-Karikatur unserer Bewegung endlich ein für allemal zu brechen.

Als Elsässer waren sie ja schon 1974, beim Widerstand gegen das Atomkraftwerk Whyl dabei. Wie hat sich ihre politische Gangart seither verändert?

Ich bin etwas älter geworden. Das soll nicht heißen, daß ich heute gegen solche Aktionen bin, wie wir sie damals unternahmen. Älter werden heißt bei mir eher, mich ein kleines bißchen in die Haut derer zu versetzen, die uns regieren. Denn auch wir werden ja eines Tages regieren.

Sie erwecken zuweilen den Anschein, sich inzwischen lieber über ihr Hobby, die Nagetier-Expertise, als über Atomkraftwerke zu äußern. Reden die Grünen in Frankreich nicht mehr über Atomkraftwerke, weil das Thema im Land unbeliebt ist?

Nein, das ist so nicht wahr. Unsere Radikalität bleibt. Wir fordern den Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb von zehn Jahren. Nur hat sich unsere Thematik heute erweitert. Wir haben mehr Vorschläge als früher, und deshalb redet man weniger über den einzelnen. Wir verfügen heute über ein ausgearbeitetes Programm.

Will denn auch der Politprofi noch gegen Frankreichs heilige Kuh, die „force de frappe“, aufbegehren?

Wir sind für den Atomwaffenabbau. Frankreich muß sich, im Gegensatz zur bisherigen Politik, an den Abrüstungsverhandlungen der Großmächte beteiligen. Wir Franzosen dürfen uns aus dem Abrüstungsprozeß nicht ausschließen. Ein erster Schritt, den wir als einseitige Maßnahme fordern, wäre, die französischen Atomversuche auf der Pazifikinsel Mururoa zu stoppen. Damit würde die Weiterentwicklung der Atomwaffen in Frankreich unmöglich gemacht. Ziel dabei muß selbstverständlich bleiben, alle Atomwaffen abzuschaffen.

In Frankreich handeln Sie sich den Vorwurf ein, sich entweder nicht genug oder zu schwach von der sozialistischen und kommunistischen Linken abzugrenzen. Sie selber aber stehen nicht für Rot-Grün, sondern für Grün-Grün. Kann man in Frankreich so einfach die linke, republikanische Tradition über den Haufen werfen?

Warum ist Frankreich seit 1789 oder schon früher ein zentralistisches Land? Weil sich die jeweils regierenden Parteien von den vorgegebenen historischen Strukturen bestimmen ließen, und es an Willen zur Erneuerung fehlte. Les Verts stehen für einen Bruch mit vielen, in Frankreich liebgewonnen Traditionen.

Die französische Republik erlebt heute das Ende ihrer ersten politischen Phase. Die Linke und die Rechte, so wie es sie noch heute in Frankreich gibt, sind auf den Bänken der verfassungsgebenen Versammlung von 1789 geboren. Für Linke und Rechte ging es stets gleichermaßen um die Verteilung der Reichtümer zwischen Kapital und Arbeiterschaft. Natürlich gibt es heute weiterhin ein Verteilungsproblem, vor allem zwischen armen und reichen Ländern, aber der ideologische Kontext für den Kampf zwischen Rechten und Linken gibt es heute so nicht mehr. Was auf dem Spiel steht, sind nicht mehr ausschließlich die Verhältnisse unter den Menschen, sondern das Verhältnis zwischen Menschheit und dem Rest der Welt: also der Natur. Und wo etwas ideologisch neu definiert wird, entstehen neue politische Kräfte wie wir.

Bedeutet diese ideologische Abgrenzung, daß es zwischen Grünen und Linken in Frankreich keine Gemeinsamkeiten mehr gibt?

Ob das nun die SPD bei Ihnen oder unsere Sozialisten betrifft: Diese Parteien haben Wirtschaftsliberalismus und Kapitalismus doch perfekt in ihre Politik integriert. Premierminister Michel Rocard sagte neulich in New York, der französische Kapitalismus müsse aggressiver werden. Welchen Unterschied gibt es da noch zwischen Linker und Rechter?

Auf der anderen Seite verteidigen gerade die Kommunisten jene Industrien - den Bergbau oder die Metallindustrie - die den Kapitalismus in seiner reinsten Form darstellen. In Frankreich ist die Kommunistische Partei sogar eine derjenigen, die die grüne Bewegung am härtesten bekämpft. Sie ist ausschließlich produktivistisch und materialistisch orientiert. Die grüne Bewegung ist dagegen nicht materialistisch. Die menschliche Entwicklung liegt heute nicht mehr in der Anhäufung materieller Dinge.

Treibt Sie die Kommunistenhatz nicht allzu leicht ins gegnerische Lager der Unternehmer? Zu ihrer autonomen Denkweise gehört es, die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich zu fordern?

Ja. Wir müssen Arbeit und Reichtümer besser verteilen, selbst wenn das Lohnabzug bedeutet. Die niedrigen Gehälter müssen davon weniger betroffen sein als die hohen. Weiterhin muß es ein Mindesteinkommen für alle geben.

Nicht alle, die sich in Westeuropa Grün nennen, denken so wie Sie.

Bei den deutschen Grünen gibt es Stömungen, die in Richtung der klassischen Linksformationen streben. In Frankreich, aber auch in Belgien und der Schweiz, weitgehend auch in Schweden und Österreich, gibt es diese Strömungen nicht. Ich glaube, diese Situation wird auch die Deutschen dazu bringen, ihre Positionen zu überdenken.

Spielt da auch der Neid auf den großen grünen Bruder eine Rolle?

Nein. Bisher haben sich die Medien nur an den bundesdeutschen Grünen orientiert. Sie allein besaßen institutionelle Mittel für ihre Parteipolitik. Das wird nun nach dem 18. Juni, dem Tag der Europawahlen, nicht mehr so sein. Ein Italiener, wahrscheinlich ein Grieche und ein Spanier und natürlich wir Franzosen werden dann im Europaparlament den grünen Schwerpunkt mehr nach Süden verschieben.

Wird es in Zukunft zwei grüne Parteimodelle für Europa geben: das bundesdeutsche rot-grüne Modell und das französische, das seine Unabhängigkeit von der Linken betont?

Nein. Die deutschen Grünen sind erfolgreich, die französischen auch - jeder auf seine Art und mit einem unterschiedlichen Bild in der Öffentlichkeit. Ich glaube aber nicht, daß es in den Zielen zwischen beiden Parteien grundsätzliche Unterschiede gibt.