Eine braune Sachertorte für „den Adi“

Über die Schwierigkeiten einer Stadt mit einem ihrer Söhne: In Braunau am Inn wurde Hitler geboren / Am liebsten möchte die Stadt das Geburtshaus des „Gröbaz“ ignorieren: „Hier ist der Faschismus nicht geboren“ / Ein Mahnmal als Stein des Anstoßes  ■  Aus Braunau Luitgard Koch

Eher unscheinbar steht der Altbau mit den Giebelfenstern hinter dem Torturm. Der fahlgelbe Putz blättert ab. Über den Fenstern im Erdgeschoß eine verwitterte Aufschrift: „Volksbücherei Braunau“. Am dunkelbraun-geschnitzten Eingangstor das Schild der „Lebenshilfe“, einer Behindertentagesstätte.

„Man kommt halt nicht umhin“, zuckt der ältere Herr im blauen Anzug mit den Schultern. Der Augsburger stellt sich in Positur. Vor ihm das antifaschistische Mahnmal, hinter ihm Hitlers Geburtshaus. Edgar Hertwich, der junge Zivildienstleistende aus Braunau, drückt auf den Auslöser. Fertig ist das Foto fürs Familienalbum. „Ist das ein bestimmtes Haus?“ hatte sich der Kurgast aus dem bayerischen Bad Füssing zunächst scheinbar ahnungslos erkundigt. Bis er dann partout wissen will, ob Hitler im ersten oder zweiten Stock geboren wurde.

„Sowas is ma da scho gwohnt“, meint der 20jährige Edgar. Er arbeitet bei der „Lebenshilfe“. Etwa 20 Kinder und Jugendliche werden dort betreut. Es passiert ihm nicht zum ersten Mal, daß er mit dem Hitler-Tourismus konfrontiert wird. „Bei uns ist zur Zeit die Hölle los“, stöhnt das Mitglied der „Grünen Umweltliste“. Grund: Der hundertste Geburtstag des „Führers“ steht vor der Tür. Im Moment sind es vor allem Journalisten aus aller Welt, die Braunau heimsuchen.

„A klane Tafel hat kan Sinn“

Mit seinem braunen Erbe tut sich die Grenzstadt Braunau schwer. Nur äußerst zäh geht die notwendige Aufarbeitung in der einstigen Beamten- und Garnisonsstadt voran. Lange Zeit versuchten die Stadtväter, das Hitler-Haus einfach zu ignorieren. Es geschah nichts. Erst als 1979 fast 500 Nazis aus dem In- und Ausland anrückten und den neunzigsten Geburtstag ihres Führes in Braunau feiern wollten, mußten die Gemeinderäte ihre Vogel-Strauß-Politik aufgeben. Auf Drängen eines überparteilichen Komitees für Frieden und Antifaschismus beschloß die SPÖ-Mehrheit im Stadtrat 1983 eine Mahntafel am Hitler-Haus anzubringen.

Aber nicht einmal ihre eigene Landes- und Bundespartei stand damals voll hinter ihnen. „A klane Tafel hod kan Sinn und a große geht ned“, meint selbst der damalige Österreichische Innenminister Karl Blecha. Das Unternehmen scheiterte dann auch. Auf Betreiben konservativer Kräfte klagt Kreszenz Pommer, die Besitzerin des Hauses, vor Gericht wg. „Besitzstörung“. Ihr Argument: Die Tafel würde Demonstrationen und Beschädigungen provozieren. Und sie bekommt Recht. Allerdings wurden sämtliche Reperaturen am Haus schon immer von der Stadtgemeinde Braunau finanziert. Darunter auch die mehrmalige Erneuerung des von Hitler-Fans abgekratzten Verputzes.

Das Gebäude ist vom österreichischen Staat angemietet worden, dessen Untermieterin wiederum die Gemeinde Braunau ist. 22.000 Schilling kassiert die Besitzerin dafür monatlich an Miete. 1938 hatte SS-Reichsleiter Martin Bormann der Familie Pommer das Haus Salzburger Vorstadt 15 für 150.000 Reichsmark abgekauft, der vierfache Verkehrswert. Nach dem Krieg klagte die Familie auf Rückstellung. Makabererweise nach dem gleichen Gesetz, das die Rückstellung „arisierten“ Eigentums regelte. Für 150 000 Schilling, etwa ein Zehntel des ursprünglichen Verkaufspreises, ging es wieder in ihren Besitz über. Die Familie erhielt dafür auch noch ein zinsfreies Darlehen der Stadt Braunau.

Eine Mahnung wird anstößig

„Für Frieden, Freiheit und Demokratie - Nie wieder Faschismus - Millionen Tote mahnen“, so die eingemeißelte Inschrift auf dem gelblichen Steinblock vor dem Hitler-Haus. Am 5. April dieses Jahres wird der Granitblock aus dem Steinbruch des KZ-Mauthausen bei strömendem Regen aufgestellt. Autos parken davor. Und schon wieder wird in der Grenzstadt gestritten. „Den hat der Simböck ausgsucht das ist ein Kommunist“, grantelt ein Hotelier. Der 39jährige Wolfgang Simböck ist SPÖ-Gemeinderat und ein engagiertes Mitglied des Antifa-Komitees. Mit einer Postwurfsendung an alle Haushalte hetzen die Anhänger der nationalistischen FPÖ des Jörg Haider gegen „Skibas Gedenkstein“.

Öl ins Feuer?

Seit Anfang des Jahres ist der 42jährige SPÖler Gerhard Skiba Bürgermeister von Braunau. Mit einem beherzten zweiten Anlauf gelingt es ihm, „ein deutliches äußeres Zeichen dafür zu setzen, wie wir in Braunau zur Vergangenheit stehen und der Opfer des Faschismus gedenken“. Für die FPÖ hat er mit dieser „einsamen Entscheidung“, unterstützt von „linken Hintermännern“ ... „bewußt Öl ins Feuer gegossen“ und „die Gefahr von Ausschreitungen“ am 20. April heraufbeschworen. Angekreidet wird ihm zudem, daß eine antifaschistische Kundgebung der österreichischen Hochschulschülerschaft genehmigt ist.“

„Der Herr Bürgermeister hat keinen Termin frei, im ganzen April nicht“, wehrt die junge Sekretärin ab. Das Hickhack scheint ihm Pressekontakte zu verleiden. Obwohl die Entscheidung pfiffig durchgezogen wurde. Wäre der ausgewählte „Stein des Anstoßes“, wie der evangelische Pastor und Mitglied des Antifa-Komitees Peter Unterrainer das Mahnmal nennt, nur wenige Zentimeter höher, wäre ein Baubeschluß des Gemeinderats notwendig gewesen. Daß damit eine neuerliche Auseinandersetzung um das leidige Mahnmal umgangen wurde, wurmt die Gemeinderäte von FPÖ und ÖVP. Für sie war ja bereits die nie aufgestellte Mahntafel ein „Schuldbekenntnis“ und „Anstiftung zum Aufruhr“. Für die Idee des Pastors, in der alten Gefängniskaserne ein antifaschistisches Museum einzurichten, können sie sich natürlich nicht begeistern. Aber auch Bürgermeister Skiba hat diesen Vorstoß aus finanziellen Gründen abgeblockt.

„Der Jud gibt koa Ruh“

Am Mittwoch ist Markttag auf dem malerischen Stadtplatz von Braunau. „Na i sog nix“, wehrt sich eine 40jährige Hausfrau. Und auch zwei junge Mütter lassen sich ungern in ihrem Plausch stören und haben einfach keine Meinung zur unbewältigten Vergangenheit. „Der Jud treibts wieder soweit bis zur nächsten Vernichtung, de kenna ja koa Ruah gebn“, ereifert sich dagegen ein 62jähriger Rentner. „Maxe, da geh her, du bist doch a Parteigenosse“, winkt er seinem Freund. Und schon wird heftig auf mich eingeredet. Ihre Namen wollen die Männer nicht verraten. „Fürn Stalin den Diktator gibts a ka Gedenktafel, oder wos is mit Napoleon, der war a ka Engel.“ „Mir ham ja nix gwußt“, heißt's wie immer zum Thema KZ. „Da Simon Wiesenthal war a paarmal im KZ und hats überlebt, wia is denn dann das ganga?“ - „Wo warn der erst Holocaust, des warn d Engländer“ - “ Die Amis machn nix gegen Israel, warum, weil'd Judn d‘ Weltbank ghört und die dann an Hahn zuadrahn“ - „Da sagt niemand, i arbaat da ned, des is a Naziwerk.“

Alle drei haben sie in der Aluminiumproduktion im inzwischen eingemeindeten Ranshofen gearbeitet. Das Werk, über 3.000 Braunauer arbeiten dort noch, ist tatsächlich ein „Geschenk Hitlers“. Als es 1939 in Betrieb diente es der reinen Kriegsproduktion für Flugzeuge. Etliche russische Kriegsgefangene wurden dort von SS-Schergen zu Tode geprügelt. Nach dem Krieg wurde das Werk verstaatlicht. Der Industriestandort, dem die Stadt ihre jahrelange sozialistische Mehrheit verdankt, ist jedoch gefährdet. Aufgrund zu hoher Emissionen muß 1991 die Elektrolyseanlage zur Reinigung des Metalls geschlossen werden. Eine neue Anlage wurde aus Kostengründen nicht gebaut. Ein Aluminiumwerk ohne eigene Elektrolyse ist jedoch kaum konkurrenzfähig. Dann, befürchtet SPÖ-Gemeinderat Simböck, wird Braunau zum Krisengebiet, die derzeit niedrigen Arbeitslosenzahlen werden in die Höhe schnellen.

„Ned alles schlecht“

„Solche Schandtaten wie in Wien im Lainzer Krankenhaus hats ned gegebn“, sind sich zwei alte Damen über die Hitler-Zeit einig. Der Skandal um die Mordserie im Wiener Krankenhaus ist Tagesgespräch. Von den weniger Eifrigen wird immer wieder besonders hervorgehoben, daß Hitler „ja nur zwei Jahre hiergewesen“ sei. Als er beim Anschluß Österreichs über die Innbrücke fuhr, sei Hitler nicht einmal ausgestiegen in seiner Geburtsstadt. „Es war ned alles schlecht“, meint eine Wiener Standlfrau und wiegt nachdenklich ihren Kopf.

Die Torte

des Herrn Hödlmoser

„Mir san ned gfragt worn, ob der Stein aufgstellt wird“, reagiert auch der katholische Pfarrer Stefan Hofer beleidigt. Doch das ist im Moment nicht sein größter Kummer. „I bin einfach einiglegt worn, wenn die sagn 'Studientage für deutsche Geschichte‘ bin i dafür offen“. „Einiglegt“ haben den Pfarrer angeblich Redakteure des Wiener Zeitgeist -Magazins 'Basta‘. Sie versuchten als stramme Neonazis einer „Aktion freies Deutschland“ in der „Führer-Stadt-Braunau“ eine „rauschende“ Geburtstagsparty „für Adi“ zu organisieren. Deshalb besuchten sie auch Pfarrer Hofer. Der Geistliche sollte eine Gedenkmesse für Hitler am 20. April lesen.

„Einiglegt“ haben die 'Basta'-Leute aber auch honorige Wirte. Vom Post-Wirt über den Mayr-Bräu bis hin zum Wirt vom „Bayerischen Resl“ waren sie alle bereit, den schneidigen Deutschen einen Saal für das Geburtstagsfest zu vermieten. Sogar eine braune Sachertorte wollte Bäcker Hödlmoser zu Führers Geburtstag backen. Die Bäckerei liegt direkt vis-a -vis vom Hitlerhaus.

Der NS-Sammler in Braunau

„Davon weiß i gar nix“, meint die junge Verkäuferin in der Bäckerei. Aber noch auf eine andere alte Wunde haben die 'Basta'-Redakteure damit ihre Finger gelegt: Franz Kromberger, historischer „Sammler“, so steht es ganz unverfänglich im Braunauer Telefonbuch. Der inzwischen 72jährige sammelte über Jahrzehnte hinweg NS-Devotionalien. Für eine stattliche Summe kaufte die Stadt dem ehemaligen Sammler seine NS-Reliquien ab, ließ es jedoch zu, daß er seine Nazi-Orden weiter in seiner Wohnung neben der Jugendherberge betreute. Im September 1975 verliehen ihm die Stadtväter gar eine Verdienstmedaille. „Besonders hervorzuheben ist sein Entgegenkommen beim Kauf der Sammlung durch die Stadt“, schrieb der damalige Bürgermeister Herrmann Fuchs (SPÖ) auf die Verleihungsurkunde.

Zum Skandal kam es, als 1981 'Stern'-Journalisten sowie der Fotograf Günter Zint aufdeckten, wie intensiv Kromberger sich seiner Sammlung widmete. Fast 20.000 Hitler-Fans trugen sich in sein Gästebuch ein. Unter den Besuchern seiner Ausstellung waren gar österreichische Bischöfe. Und auch die beiden ehemaligen sozialistischen Minister Firnberg und Staribacher versäumten einen Besuch nicht. Nach der Besichtigung hatte Kromberger für seine Gäste auch noch ein besonders gelungenes Zeremoniell auf Lager. Bei flackerndem Kerzenschein stellte er einen Totenkopf mit Stahlhelm auf und läutete ein Totenglöckchen. Nach dem 'Stern'-Bericht mußte Kromberger den größten Teil seiner NS-Reliquien an die Stadt abgeben. Doch den 'Basta'-Leuten scheint er noch einen Teil davon vorgeführt zu haben.

Die Behinderten

werden ausquartiert

„Die Sammlung is nicht mehr zu besichtigen, mir gem kaa Auskunft mehr, jetz scho garned.“ Verärgert reagiert die Frau des Sammlers. Die Tür bleibt verschlossen. Aber Kromberger ist nicht der einzige in Braunau aus der alten Riege, der dem Hitler-Kult frönt. Für zwölf Mark pro Stück stellt Herrmann Kuzel Bier- und Limonadengläser mit dem Führerbild her. Doch nach dem 'Basta'-Artikel wird freilich hier gemauert. „Mei Mann is im Krankenhaus, jetz im Moment ham ma kaane Gläser.“

Bei den Sicherheitsbehörden sind die Vorbereitungen für das ominöse Datum des 20. April bereits angelaufen. Über die Details wird jedoch keine Auskunft erteilt. Inoffiziell ist von 200 Gendarmen die Rede, die an den kritischen Tagen die Altstadt abriegeln. An den Grenzübergängen sind strenge Kontrollen für Skinheads angesagt. Das Hitler-Haus selbst wird von Polizei besetzt. Die Behinderten werden ausquartiert. Sie sollen an diesem Tag einen Ausflug machen. Nach etlichem Hin und Her wurde eine antifaschistische Kundgebung der Wiener Hochschulschülerschaft genehmigt. Vor dem streng bewachten Hitler-Haus dürfen die Studenten jedoch nicht demonstrieren.

Bayern grüßt

Bis Ende des 17. Jahrhunderts gehörte Braunau zu Bayern. Nur ein Kilometer trennt den 16.000-Einwohnerort vom bayerischen Simbach. Auf der Innbrücke, die die beiden Orte verbindet, wehen vor der Grenzstation die bayerische und deutsche Fahne. Am ersten Kiosk auf deutscher Seite wird die 'Deutsche Nationalzeitung‘, das Blatt der rechtsradikalen „Deutschen Volksunion“ verkauft. „Hier ist der Faschismus nicht geboren, sag ich immer wieder“, rechtfertigte sich der katholische Pfarrer von Braunau.