Wettkampf der Quadratmeter

■ Städtekampf und Pfründeneid: Zur Kölner „Bilderstreit„-Ausstellung

Johanna Schenkel

Die meisten großen Kunstausstellungen haben eine Vorgeschichte, eine inoffizielle und eine offizielle. Man verweist auf Vorbilder und woran man anknüpft und verschweigt die meist handfesten ökonomischen Bedingungen. So wurde auch bei der Mammutschau verfahren, die am 7.April unter dem hochtrabenden Titel Bilderstreit in der Kölner Messe eröffnet wurde.

Im Umfeld der 21.Art Cologne 1987 beunruhigte ein Gerücht die glänzend laufenden Geschäfte der dort versammelten GaleristInnen: Frankfurt plane zusätzlich zum dort schon vorhandenen Kunstspektakel - „Museumspark“ am Mainufer, Städel-Kunstschule, neues Museum für zeitgenössische Kunst einen eigenen Kunstmarkt ab 1989. Die bis dahin für die Baseler Messe zuständige Organisatorin Anita Kägi sei schon engagiert. In den Frühstückssälen der Hotels und an den Abendtafeln potenter Kunstunternehmer hatte man auf einmal ein neues Thema. Sollte die Kunstszene demnächst wieder einmal umziehen müssen?

Besonders die Kölner Galerien waren von dieser Nachricht aufgeschreckt. Nach jahrelangem Hin und Her hat man es endlich geschafft, Düsseldorf die Konkurrenzkunstmesse abzuhandeln und sich damit auf dem Weltmarkt Kunst als Handelsort Nummer zwei neben New York zu etablieren. Doch wie sollte man diese Position bei dieser Entwicklung und den chronischen Finanznöten der Stadt Köln halten können? Das mit einem Aufwand von 270 Millionen Mark erbaute Doppelmuseum Ludwig-Wallraf-Richartz hat sich zwar zu einem Publikumsmagneten entwickelt - über zwei Millionen Besucher haben es inzwischen gesehen -, aber potente Käufer werden unter den zahlreichen Schulklassen und Kegelklubs auch in Zukunft nicht erwartet. Und das Museum selbst wird mit seinem lächerlich niedrigen Ankaufsetat weiter auf die Gnade großzügiger Spender angewiesen bleiben.

Ein Großereignis mußte her! Eines, das auch überregional zieht wie die Westkunst 1981 mit über einer Viertel Million Besucher. Im Terminkalender wurde 1989 eine Lücke zwischen den Kunstgroßereignissen Dokumenta und Biennale ausgemacht. Also wurde überlegt, mit welcher Ausstellung man Reisende und potente Käufer in Sachen Kunst vor Beginn der Frankfurter Messe und der Sommerpause nach Köln locken könnte. Und wer sollte diese Schau machen? Kaspar König, Mitorganisator der Westkunst, hat sich als Direktor der Städel-Kunstschule in Frankfurt längst unentbehrlich gemacht und hat sowieso einen eigenen Ausstellungraum, den Portikus. Pontus Hulten, sein ehemaliger Mentor, ist mit dem Palazzo Grassi beschäftigt, einem Prestigeobjekt des Autokonzerns Fiat. Harald Szeemann zeigt in seinen Austellungen immer nur die gleichen Künstler - 1988 war das im Berliner „Hamburger Bahnhof“ in Berlin bei Zeitlos wieder einmal zu sehen -, dem Kölner Kunsthandel würde also auch er nicht weiterhelfen. Aber es mußte jemand her als Manager für ein solch riskantes Unternehmen: Die Schulden waren immerhin erst 1985 abgetragen. Man raufte sich die Haare und trank noch ein weiteres Glas trockenen italienischen Weißwein.

In einer dieser Runden muß auch der Leiter des Museums Ludwig, Siegfried Gohr, zusammen mit dem Kölner Großgaleristen Michael Werner gesessen haben. Der erinnerte sich nämlich an seinen alten Freund Johannes Gachnang aus Bern. Schon Anfang der sechziger Jahre hatten sich die beiden über ihre gemeinsame Begeisterung an den „neuen Figurativen“ Baselitz, Lüpertz und Penck gefunden. Werner hatte Gachnang bei seiner Karriere vom Bauzeichner zum Direktor der Kunsthalle Bern immer wieder mit den Künstlern seiner Galerie unter die Arme gegriffen. Ein gemeinsamer Kunstbuchverlag sorgt für die kunsthistorische Absegnung der auserkorenen Meister. Durch seine Mitorganisation der Dokumenta7 (1982) ist Gachnang vertraut mit solchen Großprojekten: Ein Konzept hat er schon lange im Kopf. Was der Museumsbestand nicht hergebe, könne man über persönliche Kontakte und Zuwendungen potenter Sammler ausgleichen. Wie sähe es denn mit der „Sockelfinanzierung“ für eine solche Schau aus?

Für dieses diffizile Problem bot sich der Generaldirektor der Kölner Museen, Hugo Borger, an. Er hat sich seinen Namen als Leiter des Römischen-Germanischen Museums mit praktisch nie abreißenden Besucherströmen gemacht. Außerdem ist er ein vehementer Fürsprecher der Sponsorenwerbung bei Großveranstaltungen - zuletzt erfolgreich praktiziert bei der Ausstellung Das Glas der Caesaren, featured by Olivetti. Die bereits erprobte Mischfinanzierung nach Kölner Rechnung: Ein Drittel bezahlt die Stadt (hier 800.000 Mark), ein Drittel soll durch Eintrittsgelder und Katalogverkauf erbracht werden, der Rest von Sponsoren. Je nach Deckungslücken werden entweder mehr Besucher errechnet oder man verlängert die Spendenliste. Die Lufthansa übernimmt die Fracht der Bilder; die Deutsche Bank fördert - und deckt damit wieder mäzenatisch ihre Geschäfte mit Südafrika etc.; die Stiftungen NRW und Bund-Länder fördern mit dem Rücklauf der Gelder aus Lotteriegewinnen, Rubbellos und Klassenlotterie - so findet der billig abgekaufte Glaube an eine bessere Welt qua Lotteriegewinn doch seinen Weg zurück ins Volk, wenn auch erst nach Zahlung eines Eintrittsgeldes von acht Mark.

Zum ersten Mal unter den „zahlreichen ungenannten Gönnern“ findet sich das Kölner Amt für Wirtschaftsförderung. Es wirbt in einer begleitenden Anzeigenkampagne mit der Ausstellung und folgt damit dem neuen Trend in der Ansiedlungsreklame, und der heißt Kultur als Wirtschaftsförderung. Zielrichtung sind die personalintensiven Zukunftstechnologien wie Computerindustrie, Medien und Serviceunternehmen. Eine Umfrage der Managerzeitschrift 'Capital‘ unter 557 Führungskräften ergab, daß Köln als Kulturstadt ziemlich abgeschlagen erst hinter München (70 Prozent), Berlin (13 Prozent) und Hamburg (sechs Prozent) mit nur drei Prozent der Nennungen vorkommt. Allerdings liegt Frankfurt noch hinter Freiburg erst auf Platz sechs dieser Städtehitparade der Big Bosse. Aber die Diskussion um die attraktivsten Städte der BRD kennt man schließlich ähnlich aus Modemagazinen, Zeitgeistillustrierten, Yuppie-Cafes und Studentenstammtischen. Eben dort, wo der ungebundene moderne Mensch sich bewegt. Für genau diesen Personenkreis werden solche Ausstellungen wie Bilderstreit als „Event“ ausgedacht und durchgeführt.

Animation für den Kulturbewegten, wie anders ließen sich die über 1.000 Werke von mehr als 100 Künstlern (darunter 14 Frauen) auf 10.000 Quadratmetern erklären? Man stelle sich 100 großzügige Altbauwohnungen von hundert Quadratmetern zugehängt mit Leinwänden von der Decke bis zum Fußboden vor. Ein kleineres Bild, eine Zeichnung, geht in diesem Wettkampf der Quadratmeter unter.

Die Architektur der Ausstellung gibt im Grundriß eine Acht beziehungsweise das Zeichen für Unendlichkeit vor. An den Achsen, Boulevard genannt, sind etwa 60 Kojen aufgereiht. Auf der linken Seite die europäische Kunst, auf der rechten die US-amerikanische: seit 1960 ein Bilderstreit.

Europa besteht in dieser Auswahl zwar praktisch nur aus Deutschland, Österreich und Italien, ob damit eine Fortsetzung der Rom-Berlin-Achse gemeint ist, bleibt offen. Geeint scheinen diese Länder jedenfalls wieder einmal durch die figurative, auf Wiedererkennung angelegte Malerei. Dagegen wirken die amerikanischen Beispiele aus Minimal Art und Konzeptkunst spröde und schwer. Unterlaufen wird das Prinzip durch neun kleine Kojen, „Erinnerungsräume“ genannt, in denen die persönlichen „Freunde“ und Idole des Machers Gachnang Aufnahme finden: Zum Beispiel Picasso mit seinen späten Pornographiken neben den Schlangen-Übermalungen von Arnulf Rainer, Malewitsch und Munch mit Zeichnungen auf der Suche nach der Einheit, Giacometti im Kreise seiner Freunde

-etwas deplaziert. Sowie die Erinnerungsräume die Zeitmarke 1960 unterschreiten, ist das Konzept des Streites immer wieder mehr oder weniger willkürlich unterbrochen.

Selbst mit einem guten Kunstwissen sind die meisten Werkkonfrontationen nicht nachzuvollziehen. Spätestens damit kommt der Verdacht auf, daß die Personenkonstellation der Macher und Galeristen, der Leihgeber und Künstler mehr für diese „Korrekturen“ verantwortlich war, als es das Gummikonzept vom Bilderstreit sowieso erlaubt. Schon in den Prospekten für Reisegesellschaften und Hotels hatte man den Untertitel „Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960“ hinzugefügt. So ist dann am Ende doch alles möglich und erlaubt.

Nur einer schert aus dieser Parade der Postmoderne energisch aus: Anselm Kiefer. In Amerika inzwischen zum Superstar aufgestiegen, setzte er seine Sammler Saatchi so unter Druck, daß diese drohten, alle 38 anderen Leihgaben ihrer Sammlung aus der Ausstellung zu entfernen, wenn ihre Kiefer-Bilder nicht abgehängt würden. Des Malers Begründung für diesen Schritt ist die, daß er sich die Entscheidung vorbehalten möchte, wo er ausgestellt wird, und daß diese Ausstellung vom Titel und Konzept her nicht seine Zustimmung findet. Deutlich wird an diesem Bilderstreit nur, wie weit die Dreiklassengesellschaft auch in die Kunstszene hineinreicht: Da gibt es die Malerfürsten mit Wahlrecht, dann den Mittelstand mit Lobby, respektive Mafia, die sich überall dazwischen schiebt und jede Gelegenheit zur Repräsentation wahrnimmt. Und dann gibt es noch den unsichtbaren dritten Stand, der jammert und wehklagt, aber schweigt, sobald es ihm besser geht.

Bilderstreit in der Kölner Messe bis 28.6. Der Katalog kostet 48 Mark.