Arbeitsämter sollen sich weiter vor Alhi-Zahlungen drücken

Hoffnung für KlägerInnen: Sozialgerichte scheren sich nicht um eine Verordnung, nach der jede Arbeit zumutbar ist / Aber Vorsicht bei der Post vom Amt  ■  Von Karl Nolte

In der Streitfrage, ob auch Kinder gutverdienender Eltern Anspruch auf volle Arbeitslosenhilfe (Alhi) haben, muß die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg eine Niederlage nach der anderen einstecken. Mit einem scheinbar großzügigen Angebot will die Behörde jetzt widerspenstige Anspruchsteller zum Aufgeben bewegen. Das für Alhi zuständige Bundesministerium für Arbeit (BMA) setzt auf die Unwissenheit der Kläger und will sich auf diese Weise Prozeßkosten und Alhi-Nachzahlungen in Millionenhöhe ersparen.

Am 7.September 1988 ging es los: An diesem Tag entschied das Bundessozialgericht, daß auch Kinder gutverdienender Eltern Anspruch auf volle Arbeitslosenhilfe haben. Damit schien für Zehntausende um ihr Geld geprellte Alhi-Empfänger alles klar: Die Bundesanstalt in Nürberg würde fortan die Stütze ohne Abzüge zahlen müssen. Das zuständige Arbeitsministerium weigerte sich jedoch, die höchstrichterliche Entscheidung anzuerkennen, und versuchte, das BSG-Urteil durch eine Verordnung auszuheben, die am 30.Dezember 1988 wirksam wurde. Danach hatte sein Recht auf volle Alhi verwirkt, wer nicht bereit war, zur Bestreitung seines Lebensunterhalts jedwede Arbeit anzunehmen. Der Clou an der Geschichte: Wer dieser Auflage nachkam, hatte damit ebenfalls seinen Anspruch verloren.

Zum Leidwesen der Justitiare des BMA scheren sich die Sozialgerichte jedoch nicht um diese widersprüchliche Verordnung, sondern verurteilen die Bundesanstalt in Nürberg regelmäßig zur Zahlung der verweigerten Alhi und bürden ihr zusätzlich Kosten wegen mutwilliger Prozeßführung auf. Zitat aus einem Urteil des Sozialgerichts Hannover: “...hat der Bundesminister für Arbeit ... nicht das Recht, im dem hier vorliegenden Fall ... Weisungen zu erteilen. Ansonsten erstreckt sich seine Aufsicht ihr (der Bundesanstalt, d.Red.) gegenüber darauf, daß sie Gesetz und sonstiges Recht beachtet. Damit ist ihr auch die Verpflichtung auferlegt, Entscheidungen des Bundessozialgerichts ... zu beachten... Das Gericht hat keinen Anlaß gesehen, die Berufung zuzulassen.“ (Aktenzeichen: S3Ar194/88).

Weitere Prozesse, die inzwischen vor den Sozialgerichten in Hamburg und Bremen ausgefochten wurden, endeten folgerichtig mit demselben Ergebnis.

Nur ein kleiner Teil der Alhi-Berechtigten, immerhin jedoch rund 4.000 Antragssteller, befinden sich in dieser Frage gegenwärtig im Rechtsstreit mit der Bundesanstalt. Desweiteren hat eine noch unbekannte Zahl von Antragsstellern gegen ablehnende Bescheide der Arbeitsämter vorläufig Widerspruch eingelegt.

Um das sich anbahnende Fiasko abschätzen zu können, hat die Zentrale in Nürberg einen Runderlaß an alle Dienststellen herausgegeben. Darin schreibt der Chef der Bundesanstalt: „Über die finanziellen Auswirkungen habe ich dem BMA zu berichten. Die Arbeitsämter werden deshalb gebeten, folgende Daten festzuhalten: Zahl der gestellten Anträge auf Rücknahme der Anrechnungsbescheide jeweils für die Kalendermonate März (einschließlich der früher gestellten), April und Mai 1989.“

Der Sinn der verwaltungstechnisch aufwendigen Erhebung ist einleuchtend: Das BMA mochte herausfinden, ob es nicht besser bedient ist, künftig die volle Alhi von vornherein zu zahlen, als sich auf einen Rechtsstreit einzulassen. Die entstehenden Prozeß- und von den Gerichten auferlegten Mutwillenskosten könnten nämlich in der Summe letztendllich höher ausfallen als das durch die unstatthafte Minderung der Alhi eingesparte Geld.

Jene 4.000 Alhi-Empfänger, die bereits Klage oder Widerspruch erhoben haben, gedenkt man in Nürnberg auf folgende Weise auszutricksen: Zunächst wird den Klägern ein scheinbar bedeutungsloser Fragebogen zugesandt, in denen sie um genau vier Auskünfte gebeten werden (s. Kasten). Wird nur eine der vier Fragen mit „Ja“ beantwortet, hat der Angeschriebene seinen Anspruch auf volle Alhi endgültig verwirkt. Fällt er nicht darauf herein, „ist dem Kläger ... ein Vergleichsvorschlag zu unterbreiten“. Ihm wird offeriert, „den Widerspruch gegen Zusage der Nachzahlung des Anrechnungsbetrages bis zum 28.Dezember zurückzunehmen“.

Wer sich auf diesen Vergleich einläßt, muß die möglicherweise entstandenen Rechtsanwaltskosten natürlich selbst berappen und wird das Angebot deswegen vielleicht ausschlagen. Die Bundesanstalt hat diese Möglichkeit bedacht und Vorsorge getroffen. So heißt es weiter im Text: „Sofern erkennbar ist, daß der Kläger den Vergleich ohne Kostenübernahme wahrscheinlich nicht annehmen wird, ist das Vergleichsangebot um folgenden Zusatz zu ergänzen: „Außerdem werden die Prozeßkosten des Klägers/der Klägerin von der Beklagten dem Grund nach übernommen.“ Wird der Vergleich nicht angenommen, ist das Verfahren fortzuführen.

Vor solch einer Fortführung des Verfahrens aber graust es den Weisungsabhängigen in Nürnberg: Die zuständigen Beamten wissen sehr gut, daß die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch nach der Verordnung des BMA vom 30.Dezember Gültigkeit besitzt. Desto mehr Klagen jedoch vor den Sozialgerichten gewonnen werden, schwant es einem Sachbearbeiter, „desto mehr Alhi-Empfänger werden gegen unsere Bescheide Widerspruch einlegen.“

In der Bundesanstalt hofft man jetzt darauf, daß die unselige Verordnung am 1.Juli in Gesetzesform gegossen wird und anschließend von den Sozialrichtern anerkannt werden muß. Widersprüche gegen Alhi-Bescheide, die bis dahin ergehen, werden amtsintern bereits auf der Kostenseite verbucht.

Der Ärger um die Alhi wird allerdings auch dann noch lange nicht vorbei sein: Auf dem Wege einstweiliger Anordnungen haben inzwischen Gerichte in Bremen und Hannover die Arbeitsämter zur Zahlung der vollen Alhi angewiesen, weil die Weisung des BMA vom 30.Dezember 1988 gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Und dieser Vorstoß läßt sich mitnichten dadurch aufheben, indem die Verordnung zum Gesetz erhoben wird.