Ausblenden oder Draufhalten?

■ Sollte Hitlers 100. Geburtstag Anlaß zur Berichterstattung sein oder nicht? Zur Kontroverse in den Fernsehanstalten, Stellungnahmen von ZDF, ARD und Spiegel-TV

DEBATTE

ZDF

Klaus Bresser,

Chefredakteur des ZDF, Mainz:

Warum eigentlich? Warum eines Verbrechers gedenken ausgerechnet an seinem Geburtstag? Es gab im vergangenen November, am Jahrestag der Pogromnacht von 1938, einen überzeugenden Anlaß, an Adolf Hitler, an Rassenwahn und Menschenverfolgung zu erinnern. Und es gibt in diesem Jahr wiederum eine Gelegenheit, im Fernsehen bewußt zu machen, was dieser Mann in Europa angerichtet hat - den 50.Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1.September 1939.

Hitler nun als Person darzustellen, reicht nicht aus. Wichtiger ist, die Ursachen für seinen Aufstieg zu zeigen, die Unvergleichbarkeit seiner Greueltaten, die Folgen von Verbrechen und Krieg. Und das läßt sich klarer vermitteln an Tagen, an denen wir der Opfer gedenken, als an dem Tag, an dem der Täter geboren wurde.

Mißverständnisse wären gar nicht zu vermeiden. Gerade zu einer Zeit, in der rechtsextreme Parteien wieder gewählt werden, müssen wir damit rechnen, daß manche diesen Geburtstag sogar feiern. Das Fernsehen darf nicht in den Verdacht kommen, dafür das Programm zu liefern. Bilder können benutzt werden, so kritisch wir sie auch kommentieren.

Eine längere Dokumentation über die Person Hitlers müßte zum allergrößten Teil aus Dokumentaraufnahmen bestehen, aus Bildern, die unter der Regie des nationalsozialistischen Propaganda-Apparats gedreht worden sind. Schon dem Hitler -Film von Joachim Fest wurde vorgeworfen, er zeige das Dritte Reich im wesentlichen genau so, wie es von seiner Führung gesehen werden wollte. Der Film bade geradezu in Massenorgien kultischer Selbstdarstellung, so die Kritik, er kläre nicht auf, sondern schaffe einen Mythos.

Das mag übertrieben sein, ganz von der Hand zu weisen sind solche Einwände nicht. Dem Fernsehen fiele es an „Führers Geburtstag“ besonders schwer, der Eindringlichkeit, ja der Faszination dieser geschickt inszenierten Bilder entgegenzuwirken.

Natürlich wäre es falsch, Adolf Hitler zu tabuisieren. Das Fernsehen muß sich auch mit der Person beschäftigen, ihrem Charakter, ihrer Herkunft, dem Milieu, aus dem Hitler stammt. Wir müssen immer wieder fragen, wie er die Deutschen für seine politischen Ziele eingenommen und seine Gewaltherrschaft errichtet hat. Wir haben dabei darauf zu achten, daß die Konzentration auf die Person nicht als Versuch verstanden wird, die Verantwortung für die Verbrechen nur auf Hitler allein abzuwälzen.

Aber wenn wir am 20.April 1989 auf einen Beitrag zum 100.Geburtstag Hitlers verzichten, wenn das ZDF statt dessen die Taten des Diktators in Sendungen zur sogenannten Reichskristallnacht gezeigt hat und in diesem Jahr in einer zweiteiligen Dokumentation unter dem Titel Die Saat des Krieges schildern wird - dann hat das auch mit dem Respekt vor den Opfern zu tun. Hitler ausgerechnet zu seinem Geburtstag ausführlich darzustellen, würde ihnen neue Gewalt antun.

ARD

Martin Schulze,

ARD-Koordinator für Politik, Gesellschaft und Soziales, Bonn:

Wir Deutsche haben auf dem Gebiet des Verdrängens, des Verschweigens, des Übergehens in den 40 Jahren seit Kriegsende eine beachtliche Fähigkeit entwickelt. Dies hat in einigen Bereichen zu Entwicklungen geführt, die man nicht ohne Sorge beobachten kann. Aber viele wollen die Kunst des Verschweigens dennoch weiter üben.

Kein Volk dieser Welt, auch das deutsche nicht, kann sich aus der Geschichte davonstehlen. Wir können es uns nicht so einfach machen, daß wir sagen: „Die Teile unserer Geschichte, die uns gefallen, auf die wir stolz sein können, die akzeptieren wir, zu denen bekennen wir uns, die stellen wir heraus. Und die anderen Teile, die dunklen, die schrecklichen, die blenden wir aus, die nehmen wir nicht mehr wahr.“ Ohne das bewußte Ertragen auch der bösen Seite unserer Geschichte kann Zukunft nicht gestaltet werden. Das gilt für Entwicklungen und Vorgänge, das gilt aber auch für Daten.

An dem Tag, an dem vor hundert Jahren ein Mann geboren wurde, der schreckliches Unheil nicht nur über Deutschland, sondern über die ganze Welt gebracht hat, dürfen wir nicht schweigen. Wir dürfen diesen Tag nicht jenen überlassen, die daraus Kapital schlagen wollen für ihre dunklen, für ihre möglicherweise verbrecherischen Zwecke, und die wird es zweifellos geben. Ich finde ganz im Gegenteil, wir haben eine Verpflichtung der jungen Generation gegenüber, zumindest den Versuch zu machen darzustellen, wie es zu dem verbrecherischen Regime des Adolf Hitler hat kommen können.

Es wird immer wieder die Frage gestellt, ob man nicht, wenn so etwas schon sein müsse, einen anderen Tag wählen könne. Ich frage: Was wird dadurch besser? Ist ein anderer Tag besser geeignet, das zu sagen, was gesagt werden muß?

Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat einmal im Zusammenhang mit dem Kriegsende gesagt, daß wir die Kraft haben und die Kraft haben müssen, der Wahrheit ins Auge zu blicken, und daß wir dieses tun können müssen ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit, denn Verdrängen hat noch niemandem geholfen. Selbstverständlich muß alles gegeben werden, an diesem Tag und an jedem anderen, um zu vermeiden, daß das Eingehen auf unsere Geschichte mißverstanden wird. Das werden wir tun.

Wer mißverstehen will, wird dazu an allen 365 Tagen des Jahres eine Gelegenheit finden. Aber die Angst vor den Böswilligen darf nicht zum Vorwand genommen werden, weiter zu schweigen, wie wir über vieles in unserer Nachkriegsgeschichte geschwiegen haben.

Aber dies wird geschehen. Ich halte es schlechterdings für unmöglich, daß wir im Fernsehen in den Nachrichten diese oder jene Veranstaltungen am 20.April vermelden, um anschließend den Zuschauern mitzuteilen: Dazu sagen wir nichts.

Wir werden uns dieser Herausforderung stellen.

SPIEGEL-TV

Stefan Aust,

Chefredakteur des 'Spiegel-TV‘:

Gedenktage, Jubiläen, Geburtstage zu begehen ist immer gleichermaßen sinnvoll wie unsinnig. Deshalb halte ich es für verfehlt, sozusagen eine Sonderregelung in Sachen Hitlers Hundertster einzuführen und sich zu verbieten, am 20.April 1989 über Hitler nachzudenken.

Er war eine Jahrhunderterscheinung in der finstersten denkbaren Weise. Also spricht nichts dagegen, die hundertste Wiederkehr seines Geburtstages als Anlaß zu nehmen, historischen Rückblick zu halten.

Die entscheidende Frage ist nicht, ob man etwas macht, sondern was man macht. In 'Spiegel-TV‘ haben wir gemeinsam mit Rudolf Augstein einen Film über den „Terroristen des Jahrhunderts“ gemacht. Er wird am kommenden Sonntag um 21.45 Uhr über RTL ausgestrahlt.

Ich denke, der Film zeigt, daß es sinnvoll, vielleicht sogar notwendig ist, einen solchen historischen Negativ -Termin als Anlaß für Berichterstattung zu nutzen.