„Staatsferne“ Vereinigung der sowjetischen Atomlobby gegründet

Berlin (taz) - In Moskau haben sich gestern die sowjetischen Atomlobbyisten in einer „nichtstaatlichen“ Vereinigung zusammengeschlossen. Wie die russische Zeitung 'Sowjetskaja Rossia‘ meldete, hat das Gründungskomitee, dessen Mitglieder nicht genannt wurden, 145 Betriebe und Organisationen der sowjetischen Atomwirtschaft zur Gründung eingeladen.

Ähnlich den Clubs der Energiewirtschaft in der BRD, will diese neue Vereinigung die Öffentlichkeit über die Probleme der Atomwirtschaft und über Strahlung „informieren“, damit die Menschen sich „ein eigenes Urteil“ bilden können. Einem Eiertanz glich die Vorstellung der Ziele der neuen Organisation in der 'Sowjetskaja Rossia‘. Zunächst hieß es, es sei nicht grundsätzliches Bestreben der Vereinigung, der Atomindustrie „grünes Licht“ zu geben. Statt dessen wolle man eine sinnvolle Nutzung der Atomenergie „verteidigen“. Wenig später wurden die Initiatoren deutlich: Man verstehe sich nicht als „pronukleare Lobby“, wolle aber vor allem der „Radiophobie“ entgegenwirken, die sich nach dem Supergau von Tschernobyl vor zwei Jahren im Lande „ausbreitete“.

Mit dieser Gründung reagiert die sowjetische Atomwirtschaft auf die ständig anwachsende Anti-AKW-Bewegung, die besonders in den baltischen Staaten sehr ausgeprägt ist. Dort ist auch eine große Mehrheit in der Kommunistischen Partei und in den Staatsorganen gegen den weiteren Ausbau der Atomenergie und zum Konflikt mit der Atomindustrie bereit. Dagegen erhoffen sich die Lobbyisten Zuspruch in großen Teilen der Umweltbewegung. Hier wird die Atomkraft häufig noch als Alternative zu den gigantischen Wasserkraftwerksprojekten angesehen, deren weiterer Ausbau durch Flußumleitungen und Staudämme nicht kalkulierbare ökologische Risiken bergen. Ob die Deutsche Atomwirtschaft, die zur Zeit mit den Sowjets über gemeinsame Reaktorprojekte in der UdSSR verhandelt, der Vereinigung Know-how in der PR-Arbeit zukommen läßt, ist noch unklar.

Friedhelm Wachs