Wo geht's zur feministischen Naturwissenschaft?

An der Universität Bremen soll bald eine Professorin für „Feministische Naturwissenschaft“ berufen werden / Gesucht: Eine Wissenschaftskritikerin für fünf naturwissenschaftliche Fachbereiche / Debatte über weibliche Forschungsfragen  ■  Aus Bremen Barbara Debus

„Nie und nimmer will ich so eine Professur, wenn ich diese Ansprüche sehe“, meinte die Hamburger Molekularbiologin Regine Reichwein auf einem Hearing an der Bremer Universität und schlug halb scherzhaft die Hände über dem Kopf zusammen. Zwei Tage lang wurden in der letzten Woche die Ansprüche an einen Lehrstuhl „Feministische Naturwissenschaft“ debattiert.

Zahlreich und widersprüchlich sind die Erwartungen und Sehnsüchte, die sich auf diese geplante Professur richten. Viele der mitdiskutierenden Studentinnen verlangten, daß die neue Professorin ihnen helfen solle, die theoretischen Grundlagen der Bremer Naturwissenschaften, der „Männerwissenschaften“, zu hinterfragen: „Wir Studentinnen und Doktorandinnen verfügen über das jeweilige Fachwissen. Aber wir brauchen Hilfe zur Selbstreflexion.“

Das Fachgebiet der „Wunderfrau“ wäre also vor allem Wissenschaftskritik. Einige Studentinnen hatten sogar noch weitergehende Ansprüche: „Die Frau soll Alltag und Beruf verbinden - die Frau soll angebunden bleiben an autonome Frauengruppen.“

Andere setzten dagegen: Eine versierte Fachfrau müsse her, mit der nötigen Kompetenz, in die „harte experimentelle Forschung einzusteigen, damit diese Forscherin überhaupt eine Chance habe, bei ihren Kollegen „einen Zeh auf den Boden zu kriegen“ und damit Studentinnen in ihr eine Ansprechpartnerin für ihre experimentellen Diplomarbeiten finden könnten. Auch wurden genügend Themen deutlich, denen sich eine solche Forscherin widmen könnte: allen voran die Gentechnik - widmet sich doch das derzeit bundesweit größte (Männer-)Forschungsprojekt der Biologie dem genauen Aufschlüsseln der menschlichen Gene, mit allen gefährlichen Konsequenzen der Genmanipulationen.

120 Professoren

und vier Professorinnen

124 Professor/innen weist das Bremer Vorlesungsverzeichnis insgesamt für Naturwissenschaft und Technik aus, davon sind trotz des schönen Schrägstrichs nur vier weiblichen Geschlechts. Von diesen vieren wiederum arbeiten drei im Randbereich Pädagogik/Didaktik der Naturwissenschaften. Und nur eine der Bremerinnen, die Physikprofessorin Inge Schmitz -Feuerhake, hat sich in die „harte“ Forschung begeben. Sie ist Spezialistin für radioaktive Niedrigstrahlung und wurde vielen BremerInnen in den Becquerel-Monaten nach Tschernobyl bekannt, als sie über zu erwartende Strahlenschäden informierte. In Informatik und Elektrotechnik, Produktionstechnik, Geowissenschaften und Biologie hat dagegen noch kein weibliches Wesen einen Lehrstuhl erklommen.

Die Biologinnen Jenny Kien (Regensburg) und Sarah Jansen (Braunschweig) wußten mit Beispielen zu belegen, auf welche Irrwege männlich-bornierte Forscher geraten können. Im Biologie-Unterricht lernt jeder als Zellkunde, daß der Wettbewerb unter den Samenzellen darüber entscheidet, welche den Kampf um die Eizelle gewinnt und dann „aktiv“ in die Eizelle „eindringen“ kann. Biologinnen drehten diese „maßlos sexistische Version“ (Sarah Jansen) um und fragten: Welche Faktoren sind es, die eine Eizelle eine bestimmte Samenzelle umhüllen lassen?

Mehr Fragen

als Antworten

Die Physikerinnen auf dem Podium konnten nicht mit ähnlich sinnfällig Beispielen aufwarten. Die Hamburger GAL -Mitarbeiterin Rosemarie Rübsamen: „Die Physik ist ein härterer Knochen; die erste der neuzeitlichen Naturwissenschaften, die mit dem Naturzerlegen begonnen hat. Die Physik hat ein außerordentlich geschlossenes Gebäude entwickelt.“

Sie zählte einige der Grundpfeiler dieses Gebäudes auf: Das Trennen in Subjekt und Objekt, das Mathematisieren, das Denken in Hierarchien, das Trennen von Geist und Materie. Rübsamen: „Da steckt überall patriarchalisches Denken hinter. Aber bricht nicht die ganze Physik zusammen, wenn z.B. die Subjekt-Objekt-Trennung aufgehoben wird?“ Sie bekannte: „Ich habe mehr Fragen als Antworten.“ Sie sprach sich dafür aus, Frauenfragen in der Physik zu stellen: „Ich bin ziemlich sicher, wenn eine Gruppe von Frauen gemeinsam forscht, daß da was anderes herauskommt. Aber ich weiß nicht, warum?“

Am Ende ergab die Debatte in der Bremer Universität, daß die Mehrheit der anwesenden Frauen doch ein Einsehen hatte mit der ersehnten „Wunderfrau“ und ihr nur noch eine Aufgabe zuordnen wollte - die Wissenschaftskritik für immerhin fünf patriarchalisch-naturwissenschaftliche Fachbereiche.