Gehen in Polen bald die Lichter aus?

Was Streiks nicht schaffen, gelang der Bürokratie: Polens größtes Kraftwerk steht vor dem Konkurs / Zahlungsunfähigkeit von Belchatow wirft Schlaglicht auf den Nonsens der Energiepolitik / Kraftwerke werden von Kunden nicht mehr bezahlt, von Lieferanten nicht mehr beliefert, dürfen aber den Strom nicht abschalten  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Als im Februar dieses Jahres die Arbeiter der Kohlegrube Belchatow, südwestlich von Wahrschau, in den Streik traten, malten Polens Massenmedien eine drohende Energiekatastrophe an die Wand. Immerhin ist die Grube einziger Zulieferer des benachbarten gleichnamigen Kraftwerks, welches wiederum ungefähr ein Fünftel des gesamten polnischen Energieverbrauchs deckt.

Nun, da die Arbeiter in Belchatow längst wieder an die Arbeit gegangen sind, droht dem größten Kohlekraftwerk Europas der Konkurs. Um ein Haar nämlich wäre Belchatow einem winzigen, aber tückischen Detail der polnischen Wirtschaftsreform zum Opfer gefallen. Am 1.Januar dieses Jahres wurde das Zugriffsrecht der Banken auf die Konten verschuldeter Betriebe abgeschafft. Bis dahin konnten die Kreditinstitute ohne Zustimmung des Schuldners alle Eingänge gleich an die Gläubiger weiter überweisen. Bei diesem rigorosen System genügte es, daß die Konventionalstrafen und Mahngebühren 15 Prozent der ausstehenden Summe nicht überschritten. Daran änderte sich auch nach dem 1.Januar nichts, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Kreditzinsen der Banken bereits über 60 Prozent betrugen. Fortan benutzten die polnischen Eisenbahnen und andere Kunden Belchatows das Kraftwerk als billigen und unfreiwilligen Kreditgeber; sie stellten ihre Zahlungen ein. Nachdem das Kraftwerk daraufhin auch seinen einzigen Zulieferer, die gleichnamige Kohlegrube, nicht mehr bezahlen konnte, stellte dieses ihrerseits die Kohlelieferungen ein.

Dieser „selbstmörderische Entschluß“ (so die 'Polityka‘) war das Eingeständnis, daß die Krise von den Beteiligten selbst nicht mehr überwunden werden könnte. Existiert doch zugleich ein Gesetz, das es den Stromerzeugern in Polen verbietet, säumigen Zahlern den Strom abzuschalten. Dies gilt natürlich besonders für die polnischen Eisenbahnen PKP. Das Kraftwerk also in einer dreifachen Zwickmühle.

Die Krise, ausgelöst durch ein kleines Detail mit großer Wirkung, beschränkte sich nicht nur auf Belchatow, wie die 'Polityka‘ enthüllte: Sämtliche 47 Gruben und Kraftwerke der polnischen „Energetik- und Braunkohlegemeinschaft“ hatten im März bereits die Kreditwürdigkeit bei ihren Banken verloren.

Zwar hat das zuständige Ministerium inzwischen einfach die Konventionalstrafen auf das Doppelte der Bankzinsen erhöht und damit vorerst verhindert, daß in Polen die Lichter ausgehen, doch ist das Problem damit noch nicht gelöst. Denn aufgrund des polnischen Preissystems für Energie kann Energieerzeugung einfach nicht rentabel sein. Die Verbraucherpreise sind staatlich festgesetzt und nehmen nicht die geringste Rücksicht auf die Erzeugerkosten. Auf diese Weise hat die „Energetik- und Braunkohlegemeinschaft“ der polnischen Kohlegruben und -kraftwerke allein bei der Stromerzeugung in diesem Jahr bereits 94 Milliarden Zloty Verlust eingefahren. Hinzu kommen, so errechnete die 'Polityka‘, noch rund 100 Millionen Dollar für notwendige Investitionen und Reparaturen. Da der Staat die Verluste über Subventionen bisher getragen hat, waren die Gruben und Kraftwerke nicht zu Rationalisierungen gezwungen.

Wohin dies führt, hat Stanislaw Albinowski, zu Anfang der achtziger Jahre selbst Mitglied der Planungskommission der Regierung, in einer jetzt veröffentlichten Untersuchung dargestellt. Der Aufwand zur Energieerzeugung steige permanent. Schon allein bei der Energieumwandlung von Kohle in Strom gingen in Polen zwei Drittel der Ursprungsenergie (Primärenergie) verloren. Albinowski: „Für den gleichen Effekt mußte man 1985 27 Millionen Tonnen Steinkohle mehr aufwenden als 1970.“ Albinowski fordert denn auch seit Jahren eine Abkehr von jener Kohleideologie, die noch in den achtziger Jahren darauf setzte, daß allein Polens Kohlevorkommen schon eine Garantie für wirtschaftliche Entwicklung seien.

Daß die Erschließung immer neuer Kohlegruben Polens Energieprobleme nicht löst, zeigt auch das Beispiel Belchatow. Unter Parteichef Gierek in den siebziger Jahren mit massiver westdeutscher Hilfe aus dem Boden gestampft, haben die Förderanlagen der Grube im Tagebau die Landschaft in eine Wüste verwandelt. Die ökologischen Kosten allein aus dem Schwefelausstoß der Kraftwerke schätzt Albinowski im Einklang mit einer 1986 eingesetzten Parlamentskommission für Umweltschutz auf 400 Milliarden Zloty pro Jahr. Die Erschließung neuer Gruben erhöht indessen auch die Förderkosten und den zusätzlichen Energieaufwand pro Tonne. Das hat inzwischen dazu geführt, daß man 7,5 Tonnen Kohle fördern muß, um eine Tonne Kohle zur freien Nutzung zu bekommen. „Solch eine Last kann keine Volkswirtschaft tragen“, gab die Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘ in einer Rezension über Albinowskis Report zu. Zwar dringt der Gedanke, energiesparende Strukturen einzuführen, auch bis in höchste Regierungs- und Parteigremien vor, doch die Wirklichkeit, die ist nicht so: Selbst der für Wirtschaft zuständige ZK-Sekretär Wladyslaw Baka gab kürzlich offen zu, die Sparziele des derzeitigen Fünfjahresplans würden wohl kaum erreicht werden können: „Statt der geplanten 22 Millionen Tonnen Kohle haben wir bisher nur sechs eingespart.“