Jerzy Urban, die „Hupe Jaruzelskis“, tritt zurück

Der in Polen meistgehaßte Politiker mit den abstehenden Ohren und der scharfen Zunge will sich nun dem Fernsehen widmen  ■ P O R T R A I T

Aus Warschau Klaus Bachmann

Wie es denn zu erklären sei, wollte ein Journalist kürzlich von Jerzy Urban wissen, daß er einerseits selbst zugebe, durch seine Tätigkeit als Regierungssprecher der Regierung eher zu schaden, sich aber weigere, zurückzutreten. Es sei, konterte Urban mit dem ihm eigenen Sarkasmus, in Polen bekanntlich ja nichts Ungewöhnliches, daß jemand einen Posten innebehalte, für den er sich nicht eigne - noch während seiner letzten Konferenz am Dienstag letzter Woche hatte Urban versucht, alle Gerüchte zu zerstreuen, denen zufolge er zurücktreten werde. Jetzt ist er doch gegangen, vermutlich nicht ganz freiwillig.

Daß der Wechsel fällig sein würde, war ihm wohl schon im Herbst vergangenen Jahres klar gewesen, als er selbst über seinen Rücktritt spekulierte: Es sei ja eher die Zeit des Dialogs und der Verständigung, und seine Person erscheine da vielen im Lande eher als ein Symbol des politischen Kampfes und der Konfrontation. Wie wahr.

1981 war Urban von der Parteizeitung 'Polityka‘ auf den Sessel eines Regierungssprechers im Ministerrang gewechselt; seitdem hat er auf diesem Posten alle politische Erschütterungen überlebt. Und während dieser Zeit entwickelte er sich von einem angesehenen Publizisten zu einem der bekanntesten, aber auch meistgehaßten Politiker Polens.

Der kleine aufgeschwemmte Mann mit den großen abstehenden Ohren wurde zu einem Symbol für General Jaruzelskis „Normalisierungskurs“ nach der Verhängung des Kriegsrechts. Zynisch und sarkastisch verteidigte er alle noch so irrationalen Maßnahmen der Regierung, attackierte politische Gegner, zog oft stundenlang die Opposition durch den Kakao seiner aggressiven Rhetorik. Wie er zuvor geschrieben hatte, redete er jetzt, nur eben nicht mehr auf eigene Rechnung. „Kamikaze-Schreiber“ hatten ihn seine Kollegen von 'Polityka‘ genannt. Der Regierungssprecher wollte das „Kamikaze-Schreiben“ unter Pseudonym nicht lassen. Jeder in Polen wußte natürlich, daß jener „Klakson“ („Die Hupe“) oder Jan Rem, der in der 'Polityka‘ oder im 'Szpilki‘ sein publizistisches Unwesen trieb, niemand anderes war als Jerzy Urban.

Dieses Problem stellte sich auch letzten Herbst, als er ganz offensichtlich versuchte, mit seinen wöchentlichen Pressekonferenzen das Zustandekommen des „runden Tisches“ zu hintertreiben. „Spricht Urban für die Regierung oder für den Betonflügel der Partei?“ fragte damals der kirchliche Unterhändler, Professor Stelmachowski. Doch würde man dem nun 56jährigen Unrecht tun, sähe man in ihm nur, wie etwa die Karikaturisten der Opposition, „die Hupe des Generals“. Daß Urban zum inneren Kreis der Macht gehört, ist kein Geheimnis, doch ermöglichte ihm dies auch eine gewisse Selbständigkeit. Urban ist der Schöpfer jener polnischen Form von Glasnost, die davon ausgeht, daß eine geschickt verpackte Wahrheit mehr nützt als eine ungeschickte Lüge, die man womöglich einmal wird zurücknehmen müssen. Zurücknehmen mußte Urban einiges im Laufe seiner Karriere, doch meist gelang es ihm, unangenehme Wahrheiten ins Gegenteil umzudeuten, ohne dabei ausdrücklich lügen zu müssen. „Urban lügt“ wurde trotzdem zu einem populären Graffiti auf Polens Mauern, doch änderte dies nichts daran, daß viele Journalisten auf Urbans internationalen Pressekonferenzen von einem Ereignis erst dadurch erfuhren, daß Urban es dementierte. „Seht her, die Regierung versteckt sich nicht“, war die Botschaft der „Bulldogge mit Kokarde“ (Urban über Urban), wenn das polnische Fernsehen Dienstagabends seine Zusammenfassung der Pressekonferenz begann.

Obwohl viele Polen den Hauptdarsteller abgrundtief haßten und dieser alles tat, jene halbstündigen Übertragungen durch quälend langsames Verlesen nicht enden wollender Erklärungen so langweilig wie möglich zu machen, gehörte die Sendung Der Regierungssprecher antwortet zu den populärsten in Polen. Das lag nicht zuletzt auch an den Wortgefechten zwischen Urban und westlichen Pressevertretern. Denn noch bis 1988 schien Urban es als eine seiner vornehmsten Aufgaben zu betrachten, das Vertrauen der Zuschauer in die polnische Presse dadurch wiederherzustellen, daß er ihr Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Westpresse zu untergraben versuchte.

Vieles von dem, was er als seine Aufgabe betrachtet haben mag, ist nun hinfällig. Solidarnosc, jahrelang von ihm als vom Westen finanzierte Terrororganisation extremer Antikommunisten bekämpft, ist wieder legal. Die Glaubwürdigkeit der Westpresse muß nicht mehr untergraben werden, seit die Polen ihre eigenen unabhängigen Blätter haben. Und da nun auch die Polen millionenfach ins Ausland reisen können, muß Urban nicht mehr behaupten - wie es ein Journalist ausdrückte -, „daß die Lage in Polen gut ist, weil sie im Westen auch miserabel ist“.

Daß Urban jetzt als Regierungssprecher seinen Hut nimmt, bedeutet noch nicht das Ende seiner politischen Karriere: dafür ist er zu erfahren in den Windungen der Kaderpolitik. 1956, während des Gomulka-Tauwetters, engagierte er sich in der linksoppositionellen Studentenzeitung 'Po Prostu‘. 1968, als die Stimmung umschlug ins Nationalistische, überwinterte er in einer Wirtschaftszeitung. Danach holte ihn der damalige Chefredakteur Rakowski in die 'Polityka‘ zurück.

Jetzt, da Wahlen angesagt sind, will Urban sein Glück als unabhängiger Kandidat versuchen. Daß er das kann, hängt mit dem Paradoxum zusammen, daß der Regierungssprecher Urban formell parteilos ist. Das wird ihn nicht hindern, nun Leiter des staatlichen Fernsehens zu werden. Auch wenn er da weiter die Gelegenheit haben wird, auf die öffentliche Meinung einzuwirken - es wird nicht mehr so sein wie früher. Denn Urbans Stellung in Polen war eine Ausnahmeerscheinung in ganz Osteuropa. Sie steht für den Versuch, eine offensive Informationspolitik in einem sozialistischen Land einzuführen. Von Prags Regierungssprecher Pawel behauptet man, er beende einfach ein Interview, wenn ihm eine Frage nicht gefalle. Urban verbietet dies schon sein Selbstverständnis. Er geht dann einfach auf den Fragesteller los.