: Menschenopfer, dem Drogengeschäft zuliebe
Die auf einer mexikanischen Ranch nahe der Grenze zu den USA gefundenen Toten waren offenbar Opfer ritueller Morde / Tatverdächtige Drogendealer wollten sich damit unberührbar machen / Mehr und mehr Gewalt an der Grenze ■ Von Jörg Hafkemeyer
Mexiko-Stadt (taz) - Die Ranch Santa Elena liegt an einer holprigen, staubigen Landstraße in einer weiten Ebene. Der Rio Grande, der im nordöstlichen mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas die Grenze zu Texas bildet, ist nicht weit. Die mexikanische Grenzstadt Matamoros, gegenüber von Brownsville in Texas gelegen, ist nur ein paar Meilen von der Ranch entfernt. Am Dienstag vergangener Woche tauchen plötzlich Spezialeinheiten der mexikanischen Polizei auf dem Ranch -Gelände auf. Vier Männer zwischen 22 und 23 Jahren werden sofort festgenommen. Die Beamten starten eine augenscheinlich gezielte Suche und entdecken in acht Gräbern zwölf zum Teil verstümmelte Leichen. In den folgenden Tagen bis zum Sonntag werden weitere drei Tote entdeckt.
Die bisherigen Nachforschungen haben eine Geschichte zu Tage gefördert, die im Milieu des internationalen Drogenhandels spielt: Durch Menschen- und Tieropfer wollten sich die Drogenschmuggler unter der spirituellen und geschäftlichen Führung eines geflüchteten Exilkubaners „unverwundbar“ machen und sich vor Nachforschungen der Polizei schützen. Der Chef der Gruppe, der „El Padrino“ genannte Adolfo de Jesus Constanzo, ist nach wie vor mit sieben weiteren Angehörigen seiner Organisation auf der Flucht.
Auf beiden Seiten der US-mexikanischen Grenze ist das Entsetzen über die Morde groß. Voller Stolz zeigten die vier Verhafteten den Beamten die Gräber ihrer Opfer und erklärten, sie hätten nur ihren geflüchteten Gottvater Constanzo angebetet und wären ihm blind gefolgt.
Mexikanische und US-Ermittlungsbehörden bezeichneten die Menschen- und Tieropfer als eine Art Voodoo-Kult, wie er angeblich auf den karibischen Inseln Kuba, Haiti und Jamaika zu finden sei. Tatsächlich aber gibt es im gesamten karibischen Raum in keiner der bekannten Religionen das Menschenopfer, auch nicht im haitianischen Voodoo. Vielmehr wurde „El Padrino“ durch den 1987 mit Marlin Sheen in der Hauptrolle gedrehten Horrorfilm Der Gläubige angeregt. Er benutzte die Ritualopfer dazu, die Mitglieder seines Schmugglerringes von sich abhängig zu machen. Er erzählte ihnen unter anderem, die Menschenopfer würden sie vor jeder Art von Schmerz, auch dem durch Schußwunden schützen. Sie glaubten ihm und brachten die von Constanzos Freundin Sara Aldrete Villareal auf den Straßen von Matamoros wahllos ausgesuchten Menschen um. Unter ihnen war auch der 21jährige Mark Kilroy, dessen Verschwinden aus seiner texanischen Heimatstadt Santa Fe für einige Aufregung gesorgt hatte.
Brutalisierung
im Drogengeschäft
Der 26jährige Exilkubaner und seine 24jährige Freundin waren den Ermittlungsbehörden keine Unbekannten. Die mexikanische Grenzstadt liegt in einem Gebiet, in dem mit Menschen, Waffen, Drogen und allerhand Schmuggelware ein lukrativer Handel betrieben wird. Und natürlich weiß die US -Drogenpolizei in Texas und Florida seit längerer Zeit, daß der von Süd- nach Nordamerika fließende illegale Drogenstrom mehr und mehr von Angehörigen karibischer Staaten wie Haitianern und Jamaikanern aber auch Exilkubanern kontrolliert wird. So berichteten Ermittlungsbeamte, daß in Miami beschlagnahmte Marihuanasendungen mit Federn geschmückt gewesen seien und daß allein die Drogenorganisation von Constanzo gut zwei Dutzend Frauen und Männer umfaßt habe.
Beiderseits der Grenze berichteten Polizisten von einer erheblichen Brutalisierung des Drogenhandels in den vergangenen Wochen. Und der jetzt bekanntgewordene Fall ist keineswegs der einzige, der sich in der Grenzregion ereignet hat. In der mexikanischen Stadt Agua Prieta wurden im März zwölf verstümmelte Leichen gefunden. Ebenso wie die fünf im gleichen Monat in Touscon, Arizona, erschossenen Männer, handelt es sich nach Ansicht der Ermittler um Opfer bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Drogenorganisationen. „Schießereien, Erpressungen, Mord, Vergewaltigungen, Menschenopfer, hier haben Sie einfach alles“, meinte ein US-Grenzpolizist bezüglich der Situation im Tal des Rio Grande. Man habe die gewaltsamen Auseinandersetzungen entlang der Grenze schon seit einiger Zeit nicht mehr unter Kontrolle. Es herrsche weitgehende Gesetzlosigkeit, geschmuggelt werde alles: egal ob Tequila, Menschen oder Waren. Und am sichersten seien die Schmuggler und Händler eben nachts auf den Straßen solcher Städte wie Matamoros, wo in den zurückliegenden Monaten mehr als 100 Menschen verschwunden sind.
„Drogen und Schwarze Magie sind wie füreinander geschaffen“, sagte US-Drogenfahnder Steve Baggs. Die texanische Polizei berichtete, daß seit 1985 insgesamt 226 Kriminalfälle bekanntgeworden seien, bei denen Okkultismus eine Rolle gespielt habe.
Weitere Festnahme
Brownsville/Texas (ap) - Die US-amerikanischen Behörden haben eine weitere Person festgenommen und Haftbefehle gegen zwei weitere Mexikaner erlassen, denen Beteiligung an der Ermordung des US-Studenten Mark Kilroy vorgeworfen wird. Der bisher fünfte Festgenommene, Serafin Hernandez Rivera, wurde in Houston unter dem Verdacht festgenommen, Marihuana importiert und an „Verschwörungen“ teilgenommen zu haben. Der Mann soll laut Leiter des texanischen Zolls, Oran Neck, Mitglied einer Familie sein, der vorgeworfen wird, seit zwölf Jahren im Drogenschmuggelgeschäft zu sein.
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