„Es gibt keine Folter in der BRD“

Diskussion zu Hungerstreik und Haftbedingungen / Sind die Inhaftierten politische Gefangene? / Sozialdemokratische Juristen für die Einrichtung großer Gruppen  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Ungewöhnliche Fronten auf einem ungewöhnlich zusammengesetzten Podium: Während Hamburgs Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und die Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer (Grüne) sich dagegen aussprechen, die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen als Folter zu bezeichnen, benutzt der sozialdemokratische Staatsrecht-Professor Norman Paech genau diesen Begriff. Wie Paech plädiert auch Wolfgang Neskovic, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Juristen in Schleswig-Holstein, für eine Zusammenlegung der hungerstreikenden Gefangenen in ein oder zwei große Gruppen.

Die Hamburger taz, das Wochenblatt 'Hamburger Rundschau‘ und das Monatsmagazin 'konkret‘ hatten zur Diskussion geladen, und an die 1.000 Zuschauer kamen, drängten sich Montag abend im Hamburger Curio-Haus. Auf dem Podium saßen neben Dohnanyi, Vollmer, Paech und Neskovic der frühere Generalsekretär von amnesty international, Helmut Frenz sowie der Arzt und Historiker Karl-Heinz Roth - während seiner Untersuchungshaft in den 70er Jahren beteiligte auch er sich an Hungerstreiks politischer Gefangener.

Dohnanyi zog den Unmut des Publikums stets dann auf sich, wenn er die starre Haltung der Regierungen in Bund und Ländern gegenüber den Forderungen der RAF-Gefangenen mit dem Sicherheitsbedürfnis des Staates begründete. Erregung auch auf dem Podium: Frenz fühlte sich an die Argumentation des chilenischen Diktators Pinochet erinnert, und auch die SPDler Paech und Neskovic hielten Dohnanyis Erklärung für „vorgeschoben“. Dohnanyi favorisierte als einziger die von den SPD-regierten Ländern vorgeschlagene Kleingruppen -Lösung. Staatsrechtler Paech plädierte für Gruppen von zehn bis 15 Gefangenen und verwies dabei auf kriminologische Fachliteratur: „Dann könnten die Inhaftierten kollektiv den politischen Aspekt ihrer Taten reflektieren“.

Eine einsame Position nahm Dohnanyi auch in der Frage ein, ob es sich bei den RAF-Inhaftierten um politische Gefangene handele. Während das gesamte Podium dies wegen der Sondergesetze, der Sonderstaatsanwaltschaften und der Sonderhaftbedingungen für politisch motivierte Straftäter bejahte, lehnte der Ex-Bürgermeister diese Definition ab. Anspielungen auf den mit Dohnanyi verwandten Theologen Dietrich Bonhoeffer sowie Dohnanyis Vater - beide wurden von den Nationalsozialisten wegen der Beteiligung an Attentatsplänen gegen Hitler hingerichtet - lehnte er ab. SS und Gestapo seien mit der Situation in der BRD nicht zu vergleichen, sagte Dohnanyi.

Konsens auf dem Podium und im Publikum herrschte in der Einschätzung, die bundesdeutsche Justiz be- und verurteile politische Täter unterschiedlich. Norman Paech drastisch: „In dieser Republik muß man Obersturmbannführer gewesen sein, um in den Genuß der Unabhängigkeit der Justiz zu kommen.“