Imagine there's no Lennon

■ „Imagine: John Lennon“ ist eine Biographie in Songs und bewegten Bildern - von Lennon erzählt und von Yoko autorisiert und ab heute um 19 und 23 Uhr in der Schauburg

Was war er denn nun wirklich? Ein perverser Scharlatan und Neurotiker oder ein musikalisches Genie und die Jesusfigur der Beatgeneration? Der Autor der John Lennon-Biografie, Albert Goldmans, pinkelt ihm mit jedem Satz so übertrieben ans Bein, daß er sich schließlich selber als der Fiesling entpuppt. Dieser Film ist wie ein Gegenangriff, eine von den Hinterbliebenen autorisierte Biografie, zu der die Privatarchive geöffnet wurden und die beiden Ehefrauen, die Söhne, Freundin, Produzent und sogar die Tante Mimi ihre Erinnerungen beitragen. Und weil Lennon immer viel und gerne über sich geredet hat, erzählt er in Unmengen von Interviewaufnahmen seine zusammengesetzte Lebensgeschichte selbst. So sieht er natürlich immer gut aus, und die anderen Beatles, die wohl auch einiges über ihn zu schimpfen gehabt hätten, wurden erst garnicht gefragt.

Aber obwohl Regisseur Andrew Solt Lennon sehr wohlmeinend portraitiert, ist sein Film nicht ohne Biß, denn Lennon selbst hat immer wieder an seinem Heiligenschein herumgekratzt und sein öffentliches Leben als witziges, provokantes und manchmal selbstgefälliges Kunstwerk inszeniert. So forderte er bei der Royal Performance das Publikum auf, auf den billigen Plätzen zu geklatschen,

alle anderen bräuchten nur mit den Juwelen zu klimpern. Der Film zeigt immer wieder, wie er die Medienereignisse inszenierte, wie er dabei auch angegriffen und beschimpft wurde und sich verteidigte, und das enthüllt mehr über Lennon als die Ausschnitte aus Homevideos, in denen er als liebender Vater zu sehen ist, oder die Luftaufnahmen seiner Luxusvilla in Tittenhurst.

Der Film folgt orthodox und chronologisch den Stationen des Lebens von Lennon, aber diese Struktur wird immer wieder von zwei Leitmotiven durchbrochen. Den Song „Imagine“ zeigt der Film erst am Frühstückstisch geträllert, dann im Studio am Klavier gespielt und zuletzt die Plattenaufnahme als Videoclip.

Als zweites Leitmotiv durchziehen den Film aggressive und irritiernede Szenen, die auf das Attentat vorbereiten: ein langes Gespräch Lennons vor der Haustür mit einem verwirrten Freak, der tagelang um dessen Villa herumschlich, und seine Texte für die Offenbarung hielt; Briefe von Fans, die vor einem Attentat warnen, oder auch nur ein vor lauter Aufregung hysterischer Passant, den Lennon bei einem Spaziergang im Centralpark trifft.

Das Hauptargument für Lennon ist natürlich seine Musik. Goldman kann mit Worten soviel demontieren wie er will, und auch die vielen Bilder und statements

dieses wohlmeinende Film-Portraits erklären letzlich nicht halb so viel wie drei Takte eines Songs der Beatles. Es ist zwar ein bißchen schofelig, daß nicht einmal erwähnt wird, daß Paul McCartney die Hälfte der 34 im Film gespielten Songs mitkomponiert hat, aber ansonsten läßt die geschickte Auswahl der Songs, die nicht als tausend mal gehörte Greatest Hits Mischung ermüdet, die Musik frisch und unverbraucht klingen. Vieles war so gut auch noch nie zu hören, da alle Lieder neu abgemischt wurden. Manchmal klingt das etwas seltsam, wenn zum Beispiel neben dem unglaublichen Geschrei im Sheastadion tatsächlich zu hören ist, was die Beatles spielten, obwohl Lennon sagte, sie selber hätten sich dort nicht hören können.

Optisch werden die Songs als Videoclips, Konzertausschnitte, Bilder von den Aufnahmen im Studio, Zeichentricksequenz oder gefilmte Schnappschüsse mit Gitarre auf dem Familiensofa präsentiert. Auch für die Lennonfans, die alles von ihm gesehen, gelesen und gehört haben, gibt es hier noch was zu entdecken. Wie bei jeder guten Biografie hat man nach dem Film nicht das Gefühl, jetzt kennt man diesen Menschen, die Fragen seien beantwortet. Aber warum uns Lennon (und die Beatles) so faszinieren, erklärt ein Fan im Film: „We grew up with them“.

Wilfried Hippen