Kreativität oder Produktion für den Markt?

■ In der „Werkstattschule für Gestaltung und Mode“ kündigte eine Geschäftsleiterin / Riskante Projektfinanzierung sorgt für rigiden Produktionszwang Berliner Landeshaushaltsordnung macht Lohnfinanzierung unmöglich / Beschäftigte wehren sich gegen „stupides Funktionieren“

„Das Wichtigste ist doch, daß jemand gerne kommt“, sagt die Schneidermeisterin Renate Woringer. Doch davon kann in der „Werkstattschule für Mode und Gestaltung“ derzeit kaum die Rede sein. Die Stimmung in der Kreuzberger Friedrichstraße ist abwechselnd auf dem Null- und dem Siedepunkt: Nach langen Querelen kündigte am Dienstag die für kreative Gestaltung zuständige Geschäftsleiterin, und ein Teil der Beschäftigten trat daraufhin in einen kurzen symbolischen Streik. Am Freitag soll die verfahrene Situation erneut diskutiert werden. Vordergründiger Streitpunkt: Wieviel und welchen Platz darf in einem Arbeits- und Ausbildungsprojekt die zeitaufwendige kreative Arbeit haben, wenn sich das Projekt an den Maßstäben des Arbeitsmarktes orientieren will?

Der Hintergrund des Streites ist jedoch ein anderer: Eine der mehr oder weniger riskanten Konstruktionen, mit denen in der Fink-Zeit die Staatsknete-Projekte ins Leben gerufen wurden. In der Werkstattschule werden acht Frauen, deren Lohn vom Arbeitsamt bezahlt wird, zu Schneiderinnen umgeschult. Die Zukunftsaussichten von Schneiderinnen auf dem Arbeitsmarkt sind allerdings miserabel, um so mehr dann, wenn sie auch noch überbetrieblich ausgebildet werden. Das Arbeitsamt stimmte der Umschulung denn auch nur zu, weil die Werkstattschule gleichzeitig zusagte, die Gesellinnen nach ihrer Prüfung noch ein weiteres Jahr voll zu beschäftigen mit beruflicher Praxis hätten sie wesentlich bessere Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Löhne der acht wiederum - das war der erste Clou der Konstruktion - sollten mit der Bekleidungsproduktion von sechzehn Frauen finanziert werden. Diese Frauen werden vom Sozialamt nach Paragraph 19 des Bundessozialhilfegesetzes finanziert, um so in den Arbeitsmarkt wiedereingegliedert zu werden.

Zweiter Clou der Konstruktion: Dadurch, daß diese Frauen insgesamt 18 Monate in der Werkstattschule angelernt werden, erwerben sie selbst einen Anspruch auf Umschulung. Einige von ihnen hätten also als zweite Umschulungsgruppe, wiederum vom Arbeitsamt finanziert, nach ihrer Anlernzeit eine Ausbildung zur Schneiderin beginnen können, während eine neue „Paragraph-19-Maßnahme“ wiederum Bekleidung produziert, um mit deren Verkauf die Löhne für das Praxisjahr zu finanzieren.

Doch die Landeshaushaltsordnung machte - wie in einer ganzen Reihe ähnlicher Fälle - auch der Werkstattschule einen Strich durch die Rechnung. Ein Erlös aus der Arbeit der „Paragraph-19-Frauen“ muß dem Land zurückerstattet werden. Erste Konsequenz: Die acht jetzigen Umschülerinnen, die im Juli ihre Prüfungen ablegen, werden nicht übernommen und sind dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit arbeitslos. Zweite Konsequenz: Das Arbeitsamt sperrt sich deswegen gegen die Finanzierung einer neuen Umschulungsmaßnahme. Verhandelt wird jetzt um eine Lösung, nach der wenigstens ein Sockelbetrag vom Projekt einbehalten werden darf.

Nun hatte die Werkstattschule die Frauen, allesamt erwachsen und zum Teil mit mehreren Kindern, vor allem mit der Ankündigung „kreativen Schaffens“ und „neuer Formen der Zusammenarbeit“ angesprochen. Herausgekommen sei genau das Gegenteil, kritisieren die Frauen der Sozialamtsmaßnahme jetzt in einem bitteren Brief: Für das motivierende kreative Arbeiten sei viel zu wenig Platz; Abmahnungen und Kündigungsdrohungen, Lohnkürzungen und die Undurchsichtigkeit von Entscheidungen der Geschäftsleitung habe „nicht zur Selbständigkeit, sondern zum stupiden Funktionieren“ geführt.

Derselbe Zielkonflikt - rigide Produktion und Ausbildung gegen das Versprechen, kreativ arbeiten zu können - brach auch in der zweiköpfigen Leitung der Werkstattschule aus. Geschäftsleiterin Sibylle Gallrein, für Verwaltung und Organisation zuständig, blieb, während Edna Schmidt, bisher für die kreative Arbeit zuständig, ging. Gestern nachmittag wurde in der Friedrichstraße beraten, wie es jetzt weitergehen soll - wer in den verbleibenden vier Monaten die Arbeit von Edna Schmidt übernehmen soll, ist derzeit noch ganz unklar.

diba