WO SIND WIR JETZT?

■ „Aufrecht gehen. Rudi Dutschke - Spuren“ in der Filmbühne am Steinplatz

Fragen, die niemand mehr stellt, werden am besten durch die beantwortet, denen sie unter den Nägeln brennen: „Ich finde es sehr wichtig, daß man den langen Marsch durch die Institutionen versucht. Man muß immer wieder neu entscheiden, wo Kompromisse möglich sind und wo es wirklich an die eigene Substanz geht“, schreibt Helga Reidemeister in der Pressemappe. Und Klaus Wagenbach sagt im Film, nicht jeder sei in den Institutionen zum Schwein geworden. Womit er freilich nicht nur seine Generation, sondern auch sich selbst meint - die Geburt der Analyse aus der gesellschaftlichen Position heraus.

Der Film ist eine Selbstversicherung: daß man als 68er -Generation nicht gescheitert sei, sondern immer noch auf dem Weg, wenn auch nicht mehr marschierend. Man muß nur genug daran glauben. Dabei soll sich dieser Gang in die Spurrillen einritzen, die die Utopie von der noch zu beginnenden Geschichte der Menschen durch die Zeiten zieht: Wir haben die Fackel dieses Wegstück getragen.

Vorangestellt ist Rudi Dutschke. Sein Leben spannt sich im Film zwischen den geistigen und wirklichen Eltern und seinen Kindern und der Jugend überhaupt. Weitergegebenes Wissen und das Wissen, das weitergegeben wird. Karola Bloch und Helmut Gollwitzer (Sozialismus und Kirche) auf der einen Seite, und am anderen Ende gibt Rabehl, stellvertretend für den Toten und als Sprachrohr seiner Generation, an Hosea Che Dutschke die Geschichte weiter - so war das damals, 1968. Eine Szene, deren Inszenierung so offensichtlich wirkt wie das Ohrensessel-Klischee vom erzählenden Opa nur sein kann selbst wenn sie nicht gestellt ist: So jung kommen wir nie wieder zusammen.

Und böse Menschen leben länger. So exemplarisch Dutschkes Leben für den aufrechten Kampf ist, so belastend ist sein Tod für die 68er, die aus ihrem Protest noch mehr als Jugenderinnerungen und mühsam verbrämtes Unternehmertum haben. Michael Schneider wird zitiert: Die Linke ist mitschuldig am Tod von Rudi Dutschke - er hat sich physisch verausgabt, weil die Linke es nicht verstand, sich konstruktiv zu konsolidieren.

Gegenüber der Biographie Dutschkes behauptet sich der Film für die Filmemacher, Zeitungsmacher, Buchmacher, Institutionsmacher selbst. An ihr soll eine verwischte Kontur gewonnen werden, die noch eine Leiche im Keller hat. Und wird so zu einer Rechtfertigung vor und einer Befreiung von Dutschke, indem man sein Leben dokumentiert und den eigenen Weg darin einläßt.

Helga Reidemeister schreibt: „Und dann konnte er nicht einmal die Ergebnisse erleben. Er wußte nie, ob die Grünen jemals eine ernst zu nehmende politische Kraft werden könnten.“ Nun, in Berlin muß man sie jetzt wohl ernst nehmen. Erstes Etappenziel erreicht; man sieht sich, Sozialismus.

Höttges

„Aufrecht gehen“ ab heute bis zum 30.April und vom 1.-3. Mai täglich um 19 Uhr in der Filmbühne am Steinplatz.