Sehnsüchtiger Blick nach Brüssel

In Großbritannien sitzen die ärgsten Anhänger Europas in Schottland. „Unabhängigkeit in Europa“ lautet der neue Slogan der „Scottish National Party“, mit dem die Nationalisten ihren Ende der 70er Jahre gescheiterten Separatismus auf eine neue, solidere Basis stellen wollen.

Trotz der Union mit England von 1707 haben die Schotten schon immer nach Europa geschaut, während die Engländer ihrer vielzitierten Insularität bis heute treu geblieben sind. Während die lichten Wolken der Aufklärung über England hinwegzogen, regnete sich der Geist des „Enlightenment“ über Schottland tüchtig ab.

Während Englands juristische Pragmatiker lieber beim beschwerlichen Einzelfallrecht verharrten, adaptierten Schottlands Advokaten den modernen Code Civil Napoleons. Und auch in Architektur und Bildung fühlen sich die Bewohner des Nordzipfels Großbritanniens dem Kontinent näher als ihrer Insel-Kollegen im Süden, die Frankreich bei guter Sicht sogar mit bloßem Auge hinter dem Ärmelkanal am Horizont erblicken können. Edinburgh ist als Kapitale Schottlands und „Athen des Nordens“ mit seinem Kulturangebot und seinen Weinbars europäischer als jede vergleichbare englische Stadt. Wie Schottlands Unabhängigkeit im neuen Europa konkret aussehen soll, darüber schweigt sich auch die programmatische Broschüre der SNP noch aus. Auch sind den Spekulationen über materielle Vor- und Nachteile des Bruchs mit London und des Anschlusses an Brüssel keine Grenzen gesetzt.

Grundsätzlich, so schreibt die 'Financial Times‘, wären die alleingelassenen Teile des Vereinigten Königreichs ärmer. Doch viele autonomiehungrige und Europa-euphorische Schotten hoffen auf die positiven Langzeiteffekte einer verbesserten Infrastruktur, eines höheren Bildungsniveaus - und selbstverständlich auf die durch die Unabhängigkeit freigesetzten Energien.

Der schottische Gewerkschaftsbund hat bereits Studien über die Anfälligkeit einzelner Industriezweige nach Einführung des europäischen Binnenmarktes in Auftrag gegeben. „Und auch unsere Lokalbehörden haben schon hinreichend Erfahrungen mit der Brüsseler Bürokratie“, erklärt Neil Robertson von der „Standing Commission on the Scottish Economy“. „Schließlich verwalten die seit Jahren die EG-Gelder, die zur Unterstützung verarmter Regionen nach Schottland fließen.“

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