Bothas Henker arbeiten gründlich

260 Todeskandidaten sitzen in Pretorias Zentralgefängnis / Trotz internationaler Proteste wird weiter gehenkt / Für heute Hinrichtung von vier Menschen angeordnet / Familien hoffen auf Aufschub / In den letzten zehn Jahren wurden mehr als 1.200 Todesurteile vollstreckt  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

„Leg‘ einem Mann einen Strang um den Hals, ziehe den Knoten unter seinem Ohr fest, fessele seine Handgelenke hinter dem Rücken und laß‘ ihn einen Abstand von knapp zwei Metern fallen.... Die Wirbelsäule des Mannes wird an dem Punkt, wo sie in den Schädel eintritt, zerrissen, elektrochemische Signale werden seine Glieder in einem grotesken Tanz herumfuchteln lassen, Augen und Zunge werden nach dem Angriff des Strangs aus den Gesichtsöffnungen herausplatzen und sein Darm und seine Blase können sich gleichzeitig entleeren, um seine Beine zu beschmutzen und auf den Boden zu tropfen - außer, wenn du ein gründlicher Henker bist und dem Mann vorsichtshalber eine Windel oder Gummihose angezogen hast.“

Chris Barnard, weltbekannter südafrikanischer Herzchirurg, setzte sich Ende der siebziger Jahre mit dieser grauenhaften Detailbeschreibung für die Abschaffung der Todesstrafe in Südafrika ein. Seine Kampagne hatte keinen Erfolg. In den letzten zehn Jahren wurden mehr als 1.200 Menschen, denen Mord vorgeworfen wurde, offiziell hingerichtet.

Am Dienstag dieser Woche sollten zwei Menschen gehenkt werden, doch die Hinrichtungen konnten durch ein Gerichtsverfahren vorläufig aufgeschoben werden. Gestern vor Sonnenaufgang sollte ein weiterer Mann nach der von Barnard beschriebenen Methode sein Leben verlieren. Für heute sind vier weitere Hinrichtungen vorgesehen. Wie die Anwälte eines der vier Todeskandidaten meinten, müsse mit deren Hinrichtung gerechnet werden. Er habe alle juristischen Mittel bis hin zu einem Begnadigungsgesuch an Apartheidchef Botha ausgeschöpft - erfolglos. Noch bis zuletzt habe seine Familie vor Gericht versucht, einen Aufschub zu bewirken. Nun bemühe man sich in letzter Minute mit einem persönlichen Appell an den Justizminister. Nur er kann noch eine vorläufige Aussetzung der Exekution anordnen. Etwa 260 Menschen warten indessen im Zentralgefängnis von Pretoria in den Todeszellen auf die Vollstreckung ihres Urteils.

Am Abend vor ihrer Hinrichtung bekommen die Todeskandidaten ein ganzes gebratenes Hühnchen (ohne Knochen) und vier Rand (etwa drei Mark), um sich etwas Leckeres im Gefängnisladen zu kaufen. Am Nachmittag sehen sie ihre Angehörigen zum letzten Mal. Die ganze Nacht durch singen sie und ihre Mitgefangenen. „Mit der Zeit hallt der Gesang durch das ganze Gefängnis“, sagt Denis Goldberg, der zusammen mit Nelson Mandela verurteilt wurde, und 22 Jahre in Pretoria im Gefängnis saß. „Am Abend vor der Hinrichtung hört das Singen nicht mehr auf. Es ist fast wie eine Trance. Es ist hypnotisch und auch für jemanden, der selbst nicht betroffen ist, klingt es hoffnungslos.“

Um sechs Uhr morgens kommt ein Priester, um einen letzten Gottesdienst abzuhalten. Dann geht es zum Galgen. In Pretoria können sieben Menschen gleichzeitig hingerichtet werden. Ein Arzt prüft, daß sie tot sind, ein Polizist nimmt ihre Fingerabdrücke, um zu belegen, daß der Richtige am Strang hängt. „Die Todeszellen sind wie eine Fabrik“, sagt Brian Currin, Sprecher der Rechtsanwälte für Menschenrechte in Südafrika. „Der ganze Ort ist brutalisiert, entmenschlicht. Es ist eine Fabrik, die Leichen produziert.“

Proteste gegen die Todesstrafe in Südafrika haben dennoch in den letzten Monaten überraschend Erfolg gezeigt. In diesem Jahr sind bisher „nur“ zehn Personen hingerichtet worden, weit weniger als im Vorjahr. 1988 fanden insgesamt 117 Menschen offiziell den Tod. 1987 waren es sogar 164 der Durchschnitt lag bei 14 Hinrichtungen im Monat .

Seit wenigen Monaten gibt es wieder eine Vereinigung für die Abschaffung der Todesstrafe in Südafrika. Und offenbar reagiert die Regierung auf den Druck. Am Sonntag wurden die Urteile von elf Todeskandidaten in lange Haftstrafen umgewandelt.

Das neue Interesse in Südafrika wie auch auf internationaler Ebene ist wohl auf den aufsehenerregenden Fall der „Sechs von Sharpeville“ zurückzuführen. Fünf schwarze Männer und eine schwarze Frau wurden für den politisch-motivierten Mord an einem als Kollaborateur verurteilten schwarzen Stadtrat zum Tode verurteilt. Doch nach monatelangen, internationalen Protesten wurden ihre Urteile im November 1988 in Haftstrafen umgewandelt.

Anfangs konzentrierten sich Menschenrechtsgruppen in ihren Appellen auf diejenigen Todeskandidaten, die aufgrund politisch motivierter Taten verurteilt wurden. Das sind zur Zeit etwa 70. Doch inzwischen geht es um die Abschaffung der Todesstrafe schlechthin. „Der durchschnittliche Todeskandidat ist männlich, schwarz, jung, gar nicht oder schlecht gebildet und war oft schon für andere Verbrechen im Gefängnis“, sagt Sheena Duncan, führendes Mitglied der Menschenrechtsorganisation Black Sash. Sie macht in erster Linie Unterentwicklung und Unterdrückung für die Zahl der Todesurteile in Südafrika verantwortlich. „Sollen wir Menschen durch eine kaltblütige, grausame Methode töten, nur weil sie das sind, was wir aus ihnen gemacht haben?“ fragt sie.

Chris Barnard kam 1978 zu einem ähnlichen Schluß. „Vielleicht ist das ein rein wirtschaftliches Problem“, schrieb er. „Es ist billiger, Leute hinzurichten und zu schlagen, als Ausbildung, Arbeit und Behausung für sie zu finden.“