: Disneyland liegt an der Emscher
Kanadische Investoren wollen in Oberhausen mit riesigen staatlichen Subventionen das weltgrößte Vergnügungszentrum errichten und versprechen 15.000 Arbeitsplätze / Staus, Gestank und Lärm auf dem Weg in die schöne neue Freizeitwelt ■ Von Bettina Markmeyer
Oberhausen (taz) - „Wenn ich mir eine neue Hose kaufen muß“, sagt Oberhausens Oberbürgermeister Friedhelm van den Mond, „dauert das zehn Minuten. Aber dreißig Minuten muß ich den Leuten erklären, was es Neues bei Triple Five gibt.“ Die Stadt ist in Aufruhr. „Triple Five“, ein neuer Thyssen für Oberhausen? Nachdem der Stahlriese weg ist und mit ihm Zehntausende von Arbeitsplätzen, will Oberhausen seine Zukunft erneut von einem Konzernriesen abhängig machen.
Seit Monaten starrt die ganze Stadt auf das Thyssen-Gelände am Rhein-Herne-Kanal, 103 Hektar groß, eine Industriebrache. Knapp 1.000 Leute arbeiten hier noch zwischen Birkengestrüpp und verwaisten Hallen, die meisten von ihnen im Drahtseilwerk. In wenigen Monaten ist Schluß.
Und dann soll sich auf der Stahl-Altlast ein Weltwunder ereignen. Das neunte, präzise gesagt. Das achte hat Triple Five schon im kanadischen Edmonton vollbracht. Dort steht die West-Edmonton-Mall (engl: Markethall; die Red.), das derzeit weltgrößte Kauf- und Amüsierzentrum: 850 Geschäfte, 11 Kaufhäuser, 110 Imbißbuden und Restaurants, eine überdachte Fantasywelt und ein Wasserpark mit Tiefseeabteilung, künstliche Gärten, ebensolche europäische Boulevards, Tigerbabys, Haie, ein Zirkus und noch mal so viel für zehn Millionen BesucherInnen im Jahr.
Zischen Alt-Oberhausen, Oberhausen-Osterfeld und Oberhausen -Borbeck will die kanadische Triple Five Corporation, die der Familie Ghermezian, einem Einwanderer-Clan armenischer Abstammung, gehört, ihren Rekord von Edmonton übertreffen. 3,3 Milliarden Mark reine Baukosten sind veranschlagt, 25 Millionen BesucherInnen sollen jährlich im geplanten „World Tourist Center“ (WTC) pro Tag und Person 85 bis 175 Mark ausgeben, je nachdem, wie weit sie gefahren sind. Gelegenheit dazu bieten 800 Geschäfte, vier Kaufhäuser und eine gigantische Freizeitmaschinerie samt Hotels, Campingplatz und einem Bootshafen. Als Einzugsgebiet nennen die Konzernherren bescheiden ganz Europa; vier Fünftel der Freizeitmenschen werden aber aus einem Umkreis von 150 Kilometer kommen.
Die Zahl, auf die es in Oberhausen aber vor allen anderen ankommt, liegt irgendwo zwischen 15.000 und 18.000. So viele neue Arbeitsplätze nämlich, behaupten die kanadischen Investoren, werde das WTC der geplagten Revierstadt bescheren, in der fast halb so viele Menschen erwerbslos und SozialhilfeempfängerInnen sind wie arbeiten gehen. Überprüfen können die OberhausenerInnen diese Zahl nicht.
Wie überhaupt unten sehr viel diskutiert und von oben sehr wenig informiert wird. Die SPD-Mehrheit im Rat ist dennoch von dem Projekt restlos begeistert. Unwidersprochen nahmen Rat und Verwaltung es am letzten Freitag hin, daß Triple Five die Ratssitzung zur Vorstellung ihres Unternehmenskonzepts zu einer PR-Veranstaltung umfunktionierte. Die Bunte Liste (BL), als einzige Fraktion gegen das Triple-Five-Projekt, gab daraufhin ihre Sitzungsgelder zurück. Man könne nicht verantworten, verkündete Ratsfrau Bärbel Höhn, daß die hochverschuldete Stadt Oberhausen Werbeveranstaltungen riesiger Konzerne finanziere.
Angesichts der Ausmaße des Triple-Five-Vorhabens beschäftigt sich seit Herbst des letzten Jahres unter der Leitung von NRW-Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen eine interministerielle Arbeitsgruppe mit den Prognosen für die Euro-Mall. Aktuelles Thema: die Liste knallharter Bedingungen, an die die Kanadier ihre Zusage für Oberhausen knüpfen. Unter anderem wollen sie 35 Jahre lang keine Grundsteuer für das Thyssen-Gelände bezahlen, das das Land ihnen auch noch besorgen und sanieren soll. Für Milliardenkredite verlangen sie einen auf vier Prozent festgeschriebenen Zinssatz, „ggf. Unter Inanspruchnahme von Mitteln der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“. Lediglich zehn bis 20 Prozent der Bausumme würden sie selbst einbringen, ließen die Ghermezians inzwischen wissen. Und weiter: Die deutschen Ladenschlußgesetze dürften im WTC nicht gelten und das Land habe, einschließlich Autobahnausfahrten, Bahnhof und Bootshafen am Rhein-Herne -Kanal die gesamte Infrastruktur zu liefern. Außerdem verlangt der Ghermezian-Clan für sein Superhausen eine unbegrenzt gültige Spielbanklizenz, wobei das Land entgegen geltendem Recht auf eine Beteiligung an den Einnahmen verzichten soll.
So etwas hat es noch nie gegeben. Dennoch sucht die Landesregierung nach Kompromissen. Wirtschaftsminister Jochimsen und Finanzminister Schleußer befürworten das Projekt, Umweltminister Matthiesen und Johannes Rau zeigten sich interessiert. Städtebauminister Zöpel jedoch hat sich vehement gegen das Projekt ausgesprochen.
In gemeinsamen Aktionen machen die Revierstädte gegen die Gigantonomie von Oberhausen mobil. Die Einzelhandelsverbände haben beim Land gegen die absehbaren Wettbewerbsverzerrungen protestiert. Nur der Oberhausener Verband blieb ruhig. Unter seinen Mitgliedern befinden sich bereits etliche Interessenten für die Euro-Mall, in der soviel Umsatz gemacht werden soll, wie in allen Essener Geschäften zusammen. Für jeden Arbeitsplatz in Oberhausen, so die Prognose, würden wegen des steigenden Rationalisierungsdrucks und der Kaufkraftverlagerung ins WTC zwei bestehende Stellen verloren gehen. Die Gewerkschaften, allen voran die HBV, befürchten eine Amerikanisierung der Arbeitsverhältnisse in der Euro-Mall.
Minister Zöpel befürchtet eine Verödung benachbarter Innenstädte und Stadtteilzentren sowie endlose Staus rund um Oberhausen. Mit den Plänen zum WTC konterkariert das Land nach Zöpels Meinung seine eigene Politik der Stadterneuerung. Zusätzlich würde die Kauf- und Vergnügungsfabrik mitten im Gebiet der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher-Park gebaut. Auf einem mehrere Kilometer breiten Streifen entlang der Emscher sollen kleinteilige Kombinationen von ökologisch verträglichem Wohnen und Arbeiten entwickelt werden.
Die Euro-Mall ist das krasse Gegenteil. In ihr wird am Tag mindestens ebensoviel Energie verbraucht wie in einer Stadt mit 50.000 EinwohnerInnen. Sie erzeugt jede Menge Müll, Verkehr und Lärm. Sie ist die in Beton gegossene Trennung von Arbeit und Freizeit, die endgültige Konsum- und Rauschmaschine. Kaufen als Freizeitgestaltung gewinne an Akzeptanz, sagen SoziologInnen. Das Firmenmotto der Triple Five für die West-Edmonton-Mall sagt's da schon deutlicher: shop till you drop - Einkaufen bis zum Umfallen.
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