Eltern von Arbeitslosen sollen zahlen

Teilnehmer eines Bundestags-Hearings kritisieren Pläne der Bundesregierung / Arbeitslose sollen durch Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche um ihr Geld gebracht werden  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Herbe Schelte für die Versuche, die Empfänger von Arbeitslosengeld mit der Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen von Verwandten weiter um ihr Geld zu betrügen, erntete die Bundesregierung gestern im Bundestag. Mehrere Gutachter erklärten bei einer Anhörung des Sozialausschusses ein Gesetzesvorhaben von Minister Blüm für verfassungswidrig. Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der Deutschen Familienorganisation kündigten an, die „Republik mit Prozessen zu überschwemmen“, falls die Regelung zum 1.Juni verabschiedet wird.

Hintergrund des Hearings ist ein seit drei Jahrzehnten anhaltendes Unrechtsgebaren der Bundesanstalt für Arbeit, das nun nachträglich zu Recht werden soll. Das Arbeitsamt legt der Berechnung von Arbeitslosenhilfe fiktive Unterhaltsansprüche zugrunde, die dem Arbeitslosen von Verwandten angeblich zustünden. Erst im Herbst 1988 entschied das Bundessozialgericht, jeder habe Anspruch auf die volle Arbeitslosenhilfe, ungeachtet des Einkommens der Eltern. Doch die Bundesregierung versucht nun mit einer gesetzlichen Regelung, das Loch zustopfen - schließlich geht es um 400 Millionen Mark, die jährlich auf die Arbeitsämter zukämen.

Blüm bedient sich in der komplizierten Materie eines Tricks: Er benutzt das familienpolitisch antiquierte Unterhaltsrecht aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, um die Schutzfunktion der Zumutbarkeitsregelung des Arbeitsamts auszuhebeln. Bislang war es kein Grund zur Sperre, wenn man eine mindere Arbeit ablehnt - besonders wichtig für arbeitslose Akademiker. Arbeitslosenhilfe kann künftig sogar gänzlich gestrichen werden, wenn sich Arbeitslose weigern, ihre unterhaltspflichtige Verwandtschaft zu verklagen oder einen Unterhaltsanspruch verwirken, weil sie bisher unzumutbare Arbeit ablehnten.

Die Rechtsmogelei wurde von den Gutachtern erbarmungslos auseinandergenommen. Selbst der von der FDP eingeladene Jurist Krause sprach davon, er sei „tief gekränkt“, überhaupt Stellung nehmen zu müssen zu einem solch „miserablen“ und „unfertigen“ Gesetz. Auch die Gutachter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Christlichen Gewerkschaftsbundes und der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) lehnten den Entwurf rundweg ab. Besonders der DAG-Vertreter machte deutlich, daß das Unterlaufen der Zumutbarkeitsregelung „sozialpolitisch unerträglich und verfassungsrechtlich bedenklich“ sei. Außerdem sei es eine „schlimme Benachteiligung“ von Arbeitslosen mit unterhaltsverpflichteten Verwandten, weil die neue Regelung sie zwingt, jede miserable Tätigkeit anzunehmen, um ihre Anspruchsberechtigung nicht zu verlieren. Diese Ungleichbehandlung sei „verfasungsrechtlich eindeutig unzulässig“. Die kommunalen Spitzenverbände von Gemeinden und Städten befürchten einen Boom von abgewiesenen Arbeitslosen bei den Sozialämtern. Die kommunalen Spitzenverbände werden deshalb die Sozialämter auffordern, gegen die neue Regelung vorzugehen und die Arbeitslosen auffordern, dagegen zu klagen.