Gnade für Rotbrigadisten?

Italiens Parlament bereitet sich auf Abschluß der „bleiernen Jahre“ vor / Gleichzeitig herrscht Angst vor neuen Attentaten zur Verhinderung der „Aussöhnung“  ■  Aus Rom Werner Raith

Vor einigen Tagen berichteten Italiens Zeitungen von Gesetzesentwürfen aus dem Justizministerium, mit denen eine Amnestie für Polit-Täter praktiziert werden soll. Ressortchef Vasalli hat dies dementiert, aber erkennen lassen, daß er an einer anderen Lösung arbeitet: die Anregung einer Parlamentsresolution, in der sich die Abgeordneten und Senatoren „wünschen, daß der Staatspräsident sein Recht auf Begnadigung von Häftlingen, die wegen bestimmter Delikte (etwa solcher ohne Blutvergießen) verurteilt sind, ausgedehnt wahrnimmt“.

Ferdinando Imposimato, KP-Senator und Betroffener in besonderem Sinne, schätzt dies als „beste aller Lösungen“ ein. Eine formelle Amnestie, das hat sich gezeigt, stößt auf teilweise erbitterten Widerstand eines Teils der Justiz und der Politik, andererseits auch der Fortsetzung auf Seite 2

Hinterbliebenen der Attentatsopfer. „Auf der anderen Seite aber können wir nicht Menschen lebenslang im Gefängnis halten“, so Imposimato, „die bei Begehung ihrer Straftaten teilweise noch kaum erwachsen waren und die außerdem

von einem starken Gefühl für soziale Ungerechtigkeit ausgegangen sind und danach den ohne Zweifel falschen Weg eingeschlagen hatten.“ Ein weitgehender Gnadenerlaß würde, nach Imposimato, „mehr noch als Amnestie zeigen, daß die Staatsautoritäten nun gewillt sind, einen Schlußstrich unter die damalige böse Zeit zu setzen“.

Ferdinando Imposimato (53) steht nicht im Ruf, ein „Sympathisant“ von Gewalttaten zu sein und schon gar nicht der Roten Brigaden: In den späten 70er und frühen 80er Jahren war er es, der die Ermittlungen gegen den „bewaffneten Kampf“ in Rom geführt, die Entführer und Mörder des christdemokratischen Parteipräsidenten Aldo Moro und eine ganze Reihe weiterer Polittäter sowie Angehörige der organisierten Kriminalität hinter Gitter gebracht hat; sein Bruder Francesco, ein katholischer Gewerkschaftsführer in

Neapel, wurde 1983 aus Rache von einem Killerkommando ermordet.

Wenn Imposimato, seit 1987 für die Kommunistische Partei als Senator im Parlament, nun engagiert für die parlamentarische Initiative zugunsten einsitzender Rotbrigadisten und Angehöriger anderer linksmilitanter Gruppen eintritt, dann können auch die sonst gerne auf Rhetorik und dann Nichtentscheidung bauenden Volksvertreter nicht mehr um eine klare Antwort herum. Zumal der nachdenkliche Senator in seinem programmatischen Artikel im 'Espresso‘ der vergangenen Woche energisch die Verhältnisse zurechtgerückt und, einmalig für einen ehemaligen Ankläger, den Großteil der seinerzeitigen Anschuldigungen in ganz Italien als „politisch motiviert“ und weit über die tatsächliche kriminelle Sachlage hinausgehend darstellt, „begründet lediglich in der bis dahin gezeigten

Ineffektivität der Strafverfolgung“.

„Es waren Jahre der Notstandsgesetze und der Notstandsstrafverfolgung“, sagt Imposimato, „doch die Schuld für diese schlimmen Attentate lag nicht nur alleine bei den Brigadisten; sie waren kein 'schwarzes Schaf‘ in einer integren Familie. Man muß alles auch im Rahmen der damaligen katastrophalen Disfunktion des Soziallebens sehen.“

Kommende Woche wollen Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen - Radikale, Demoproletarier, aber auch Christdemokraten und Linksunabhängige sowie einige Kommunisten - den Entschließungsantrag formulieren.

In den letzten jahren hatten jedoch stets Anschläge eine gewisse zeitliche Nähe zur Debatte über eine Bewältigung der „bleiernen Jahre“ gehabt, die dafür sorgten, daß anfängliche Gesprächsbereitschaft leicht verschüttet wurde.