Ökonomie oder Lebensqualität

■ Podiumsdiskussion der Grünen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit: Viele kluge Köpfe mit vielen verschiedenen Ideen / Gewerkschaft: Überstundengeld steigert Lebensqualität

Auf der Einladungskarte trohnt der einfache Arbeiter im Blaumann in einem übergroßen Getriebe - etwa im Räderwerk der Zeit? Die Zuhörer der Podiumsdiskussion im Konsul -Hackfeld-Haus fühlten sich angesichts der Elaborate der eingeladenen Experten wahrscheinlich nicht anders. Ob flexible Arbeitszeiten das Patentrezept für die familienfreundliche und soziale Arbeitsgesellschaft sind?, hatten die Grünen ihrer Diskussionsrunde als Thema zugrunde gelegt.

Prominente Redner waren geladen: Die Kieler Soziologin Ulla Pasero, der Bremer Professor Dr. Claus Offe, Dr. Meinhard Miegel, der kluge Kopf von Biedenkopf, sowie Dr. Helmut Schauer aus dem IG Metall Hauptvorstand und selbstverständlich Marieluise Beck-Oberdorf, MdB und Arbeitszeit-Expertin der Grünen. Was die Grünen jedoch als Patentrezept für einen sozialen Arbeitsmarkt sehen, ist in den Augen von Wissenschaft und Gewerkschaft vor allem im Zusammenhang mit Arbeitszeitverkürzung zu debattieren: Für Meinhard Miegel vom Bonner Institut für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik ist Flexibilisierung der Arbeitszeit die „Schwester“ von Arbeitszeitverkürzung. Gewerkschaftsvorstand Schauer sieht in der Flexibilisierung einen unvereinbaren Gegensatz zur Verkürzung. Ulla Pasero beschreibt Flexibilisierung als Folge und Claus Offe sieht sie als notwendige Voraussetzung von Verkürzung an.

Doch das, was die Grünen mit ihrem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes modellhaft in die Diskussion eingebracht und mit Blick auf die gesellschaftliche Situation

von Frau und Familie im Sinn gehabt haben, thematisierte einzig die Kieler Soziologin. Sie wies vor allem auf die unterschiedlichen Machtbalancen in der Zeitverfügbarkeit von Männern und Frauen hin, die sich aus den historisch gewachsenen Zeitstrukturen erklären. Gesellschaftlich anerkannt werde meist nur die Arbeitszeit der Männer. Was Frauen bei zunehmender Privatisierung von Arbeits-und Freizeit leisten, falle der ökonomischen Logik von Arbeitszeit zum Opfer. Ihre Forderung: Freie Zeit muß von Frauen und Männern, gerade mit Blick auf die Familienpolitik, in einem selbstbestimmten Rhythmus verfügbar werden. Es habe keinen Sinn, so die Kieler Profes

sorin, wenn die zunehmend freie Zeit keine sozialen Beziehungen mehr ermögliche, wenn in einer Familie gar Frau und Mann im fliegenden Wechsel sich die zu erziehenden Kinder in die Hand drücken und von gemeinsamer Erziehung kaum noch die Rede sein kann.

Die Wünsche der Arbeitnehmer nach Flexibilisierung sind demnach anders zu sehen als die Vorstellungen des Kapitals. Dort wird nur auf eine optimale Ausnutzung der Maschinen, auf Ausdehnung der Betriebskapazitäten geachtet. Auch die Gewerkschaften scheinen die Lebensqualität nicht als ihre Sache anzusehen: „Die Gewerkschaften wollten sich nie der ökonomischen Logik

entziehen,“ so IG Metall-Vor

stand Schauer. Besonders unter dem drohenden „Knüppel“ EG 1992 sieht er alles auf einen Konkurrenzkrieg mit verschärften Arbeitsbedingungen zusteuern. Was kümmern da die Wünsche nach verlängertem Wochenende, nach bezahlter Freistellung für die Pflege von Kindern, für die berechtigten Wünsche nach individuell einplanbarer Zeit für Bildung oder kommunalpolitisches Engagement? Außerdem wollen etliche Kollegen ja gerne mehr arbeiten - Überstundengeld steigert den Lebensstandard schließlich auch. Eine Bemerkung, die im Publikum anwesende GewerkschafterInnen mit Wohlwollen zur Kenntnis nahmen.

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