20. April: „Psychose“ in Huchting

■ Im Stadtteil Huchting kursierten am Geburtstag von Adolf Hitler nur Gerüchte über einen drohenden Überfall von „2.000 Skinheads“ / Kinder ging nicht zur Schule / Türkische Läden hatten geschlossen

Der Bremer Stadtteil Huchting gestern, am 20. April 1989. 100 Jahre nach dem Geburtstag von Adolf Hitler: Alle türkischen Lebensmittel-Läden sind geschlossen. Und die deutsche Verkäuferin im Schreibwaren-Geschäft an der Kirchhuchtinger Landstraße hat Anweisung, sobald „sich was tut, den Laden dicht zu machen“. Das Geld in der Kasse hat sie vorsorglich schon zur Bank getragen. Sie rechnet mit dem Schlimmsten, eine Kundin habe ihr soeben berichtet, „daß sich an der Hermannsburg die Skins schon zusammenrotten. Voll mit Drogen.“ Die Kundin habe selbst gehört, wie die Skinheads gesagt hätten, „'die Amsterdamer machen wir alle tot'“. Die „Amsterdamer“ - das sind in Huchting die überwiegend türkischen MieterInnen in den Wohnblocks der „Utrechter“, „Rotterdamer“ und „Amsterdamer Straße“. Das ist das „Ghetto“.

Aus dem „Schulzentrum an der Hermannsburg“ bleiben gestern fünfzig der fünfhundert SchülerInnen zu Hause. Bis 23 Uhr hatte der stellvertretende Schulleiter Hinze am Vorabend noch Anrufe besorgter Eltern entgegen genommen und es ihnen freigestellt, die Kinder zu Hause zu lassen.

In dem Hort „An der Höhpost“ bleiben die ErzieherInnen gestern beim Mittagessen fast ganz unter sich. Von ihren 34 Hort-Kindern tauchen nur sechs auf. Es gilt die Regel: „Kein Kind geht allein nach Hause.“ Der Heimleiter ist am Nachmittag damit beschäftigt, Kinder zu ihren Eltern zu

chauffieren. Die älteren Kinder hatten schon am Vortag die unterschiedlichsten Nachrichten verbreitet. Die Gerüchte schaukelten sich hoch: „200 Molotow-Cock

tails würden die Skins mitbringen“, von überall her, aus Frankfurt, aus Hamburg würden sie anrücken. Ein türkischer Junge ist felsenfest überzeugt: „Ich hab's

selbst im Radio gehört. Aus England sollen 300 Skins kommen.“

Die beiden kleinen blonden Mädchen, die gerade aus der Schule „Hermannsburg“ kommen, lachen fröhlich. Nein, sie haben keine Angst. Die Skins haben's doch nur auf die türkischen Kinder abgesehen. Die eine erzählt: „Die Skins haben Briefe geschrieben, daß Blut fließen soll.“ Die andere: „Die Skins wollen die kleinen Türken, die zwei und vier Jahre alt sind.“

In der „Amsterdamer Straße“ stehen nachmittags türkische Jugendliche, Großmütter mit Kindern auf dem Arm. Halten Ausschau. Haben sie die Skins gesehen? Nein, nur die Reporter vom Fernsehen. Eine junge Frau ist überzeugt, daß die Skins auf jeden Fall um 16 Uhr kommen. Eine ältere versucht, sich in gebrochenem Deutsch verständlich zu machen: Wenn die Skins die Straße „nur passieren“, daß sei nicht schlimm. Aber wenn sie in die Häuser kämen,... Ja. Davor habe sie Angst. Der jüngere Mann neben ihr sagt: „Wir Türken haben keine Angst.“ Der türkische Jugendliche an der Straßenecke sieht das anders. Aber sie würden sich zu wehren wissen: „Und sonst hilft nur beten.“

Auf dem 9. Polizeirevier in Huchting klingelt das Telefon an einer Tour. Die Beamten können immer nur wiederholen: „Wir haben den ganzen Tag noch keinen

Skin gesehen.“ Die Beamten fahren laufend im ganzen Ort Streife.

Revierleiter Manfred Schurwanz kennt er die Randale der Skinheads, solange er in Huchting arbeitet. Seit 1983. „Erst haben die sich Punks als Gegenspieler gesucht. Dann Ausländer. - Wenn ich von den Drahtziehern ausgehe, ist das eine Handvoll. Mit Unterstützung aus Stuhr, Delmenhorst und Oldenburg kommen die auf 30 - 40 Leute. Mehr nicht.“ Die Skins gingen neuerdings öfter auf „Türkenjagd“, Delikte wie Landfriedensbruch, Körperverletzung, unerlaubter Waffenbesitz bis hin zu einem Molotow-Cocktail seien an der Tagesordnung. Allein in den letzten beiden Monaten hat die Huchtinger Polizei zweimal Schlachten zwischen Skins und türkischen Jugendlichen verhindert. Die „Rädelsführer“ der Skins stehen zeitweise unter polizeilicher Bewachung. Der Revierleiter gestern: „Das ist eine gezielte Angstmache. In anderen Stadtteilen wurde das auch versucht, aber nur in Huchting haben die Leute die Gerüchte geglaubt - weil hier schon früher soviel passiert ist.“

Der Skin Frank Temel spielt die Ereignisse herunter: „Der 20. April, das ist mehr ne kleine Provokation von uns. Da wird nur angestoßen und gesagt: „Der geht jetzt auf Adolfs Geburtstag.“

Barbara Debus