Gründungsfieber und Sanktionen

■ Das Semester „danach“: Der Streik brachte den Unis mehr Geld, mehr Stellen und mehr Interdisziplinarität, den Fachhochschulen zum Teil Ordnungsverfahren und Zulassungssperren / FU-Präsident Heckelmann bleibt das „Lieblingsfeindbild“ der StudentInnen

„Also, jetzt schon eine Bilanz zu ziehen, ist mir zu kritisch“, sagt die Frau vom Öffentlichkeitsreferat des Asta der Freien Universität (FU). Schließlich solle erst in den nächsten Wochen „öffentlich und gemeinsam“ darüber nachgedacht werden, was der Streik nun gebracht hat. „Es gibt noch keine allgemeine Linie“, heißt es. Ähnliches ist auch aus den anderen Berliner Hochschulen und Fachhochschulen zu hören. Auch die pünktlich zum Semesterbeginn erschienene „Lieblingszeitung“, die gemeinsame Streikzeitung der Berliner Hochschulen, hält sich in ihrem Leitartikel zurück. „Die alte Senatsriege hat das Feld geräumt“, heißt es. „Was wir von der neuen Frauschaft zu erwarten haben, bleibt abzuwarten. Aber ein gewisser Herr Heckelmonster erlaubt sich immer noch, der Präsident der ehemals beFreiten Universität zu sein...“ Einen leichten Stand wird der FU-Präsident bei den StudentInnen also auch künftig nicht haben. Auf die traditionelle Einführung der Medizin-Erstsemester mußten Heckelmann, sein Medizin-Vize Brückner und Dekan Körber bereits verzichten, nachdem die StudentInnen lautstark ihren Unmut ausgedrückt hatten.

An der Technischen Fachhochschule (TFH) ist man sich über das Streikresümee weitgehend einig: „Konkret haben wir eigentlich wenig erreicht.“ Doch ist auch hier im Semester 1 nach der Streikbewegung nicht mehr alles so wie früher: „Es ist für die Profs einfach schwieriger geworden, im gewohnten Trott weiterzufahren“, so der Asta-Vertreter. Eine der Hauptforderungen der StudentInnen, die Anerkennung von acht Hochschulsemestern, wurde noch nicht erfüllt. Eine viertelparitätische Ad-hoc-Kommission beschäftigt sich nun mit TFH-internen Problemen. Mit Streikfolgen ganz anderer Art haben sich neun TFH-StudentInnen herumzuschlagen, gegen die mehrere Ordnungsverfahren u.a. wegen der Blockade von Lehrveranstaltungen während des Streiks laufen. Am kommenden Dienstag gehen die Verfahren vor dem nicht-öffentlichen Ordnungsausschuß der TFH in die zweite Runde. Den Betroffenen droht im schlimmsten Fall die Exmatrikulation. Fünf der StudentInnen flatterte in der letzten Woche darüberhinaus Strafanzeigen wegen Nötigung ins Haus.

Unangenehme Streikfolgen auch an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (FHSS): 80 Prozent der StudentInnen wurden nach einer Anordnung des Rektorats nicht zum Hauptstudium zugelassen, weil sie infolge des Streiks nicht alle der dafür erforderlichen Scheine bekommen hatten. Konsequenz: Das dritte und vierte Semester müssen sich jetzt zusammen in den hoffnungsvoll überfüllten Seminaren des Grundstudiums drängeln. Am Mittwoch statteten die Leidtragenden der neuen Wissenschaftssenatorin deshalb einen Protestbesuch ab. Riedmüller-Seel versprach, die Leitung der FHSS brieflich darauf hinzuweisen, daß die Zulassungssperre zum Hauptstudium keineswegs rechtlich zwingend sei. Die Prüfungsordnung enthalte eine Ausnahmeregelung, die es den StudentInnen ermögliche, die fehlenden Scheine auch nach der vorläufigen Beförderung ins vierte Semester nachzureichen. Die StudentInnen indessen befürchten, daß sich das Rektorat nicht umstimmen lassen wird, sondern ein „Exempel statuieren“ will.

In den ersten Wochen finden an allen Fachbereichen Orientierungs- und Einführungsveranstaltungen statt. Für die OSI/ISIs soll sogar das ganze Sommersemester zu einem Experimentiersemester werden. Während der gesamten Ferien hatte sich bei den FU-Politologen eine viertelparitätisch besetzte Vorschaltkommission mit den Forderungen der StudentInnen auseinandergesetzt. Unter anderem wurde die Anerkennung der autonomen Seminare beschlossen. Bis zu zwei Scheine können nun in diesen selbstorganisierten Lehrveranstaltungen erworben werden. Außerdem sollen zehn Projekttutorien eingerichtet werden. Die entsprechenden Stellen wurden bereits ausgeschrieben.

Materielle Erfolge auch an der Technischen Universität. Die TU legt für 800.000 DM ein Programm zur „Innovation in der Lehre“ auf. An allen Fachbereichen sollen für ein halbes Jahr wissenschaftliche MitarbeiterInnen eingestellt werden, um Lehrinhalte und Studienbedingungen unter die Lupe zu nehmen. Besonders erfolgreich bei der Stellenvergabe aus dem Überlastprogramm waren die UmwelttechnikerInnen. Hier werden drei Wissenschaftliche MitarbeiterInnen und zwölf TutorInnen in Zusammenarbeit mit den StudentInnen Alternativen zur bisherigen Lehre erarbeiten. Der Schwerpunkt wird dabei auf den Gebieten Interdisziplinarität, Feminismus und ganzheitlicher Umweltschutz liegen. Die ArchitektInnen planen ein „Autonomes Institut“ an ihrem Fachbereich. Sie fordern Raum- und Sachmittel von der TU. Ein anderes interdisziplinär angelegtes Projekt soll in den besetzten Häusern Marchstraße/Einsteinufer realisiert werden.

Gründungsfieber auch an den anderen Hochschulen: an der FU wird über die Einrichtung eines interdisziplinären „Berthold -Brecht-Instituts“ nachgedacht, die JuristInnen haben ein autonomes Jura-Institut beschlossen. An der Hochschule der Künste (HdK) gibt es sein siebenseitiges Konzeptpapier für ein geheimnisvolles „Stusiduf-Projekt“, das eine interdisziplinäre Zentraleinrichtung werden soll. Außerdem haben sich drei sogenante „Freie Klassen“ gegründet. Unabhängig von ProfessorInnen wollen die StudentInnen Ateliergemeinschaften gründen und fordern dafür Räume und Mittel.

-guth/maer/bes