Das verstaubte Museum und die spiegelblanke Pyramide

■ Ein weiterer Teilabschnitt des „Großen Louvre“ wurde der Öffentlichkeit übergeben

So ist es im Leben. Einmal ausgestanden, ist aller Streit schnell vergessen. Getrocknet die Tränen, geglättet die Sorgenfalten, abgeschüttelt das mürrische Gehabe. Heute tragen wir Sonntagsstaat. Soll man etwa ständig die alte Leier wiederholen - all-das-Geld-was-das-gekostet-hat?

Die Zustimmung ist einhellig. Schön isse ja doch. Keine einzige kritische Stimme will sich unter den Pilgern finden lassen. Gewallfahrtet zum Pariser Kulturtempel Louvre, der einen neuen Zugang erhalten hat. Falls der Louvre doch nicht „das größte Museum der Welt“ (Pressemeldung) sein sollte, hat er jedenfalls den teuersten Museumseingang der Welt (zwei Milliarden Francs Baukosten, das sind knapp 700 Millionen Mark). Unter einem gläsernen Dach steigt man in die Unterwelt der Pariser Kunstfestung, den Himmel gratis mitnehmend. Dank der Pyramide.

Stimmen, noch undifferenziert: „Ausgesprochen eindrucksvoll“, „tatsächlich gelungen“, „gut hingekriegt“. Schon deutlicher: „Die Verbindung von Alt und Neu, der Kontrast ist einfach wunderbar.“ Und ganz zaghaft eine: „Wo ist denn nun eigentlich der Eingang zum Museum?“

Ein Eingang, der aussieht wie eine Flughafenhalle. Weitläufig, weltläufig. Eine große Höhlung im Pflaster des Louvre, der sich mit der Cour Napoleon zweiflügelig zu den Tuilerien hin öffnet. Dort steht sie 21 Meter hoch, die gläserne, metallverstrebte Pyramide. Die unpraktische Drehtür schleust paarweise die schlangestehenden Besucher ein, die über eine geschwungene Treppe, eine abknickende Rolltreppe oder in einem offenen Aufzugskorb (die Attraktion) ins Innere bzw. Untere der Pyramide vordringen können. Es herrscht unterirdische, glatte Kühle, die durch den hellen cremefarbenen Stein erzeugt wird, gemildert durch das von oben einfallende Tageslicht. Hier macht sich der Himmel jeden Tag anders bemerkbar. Gegen den Horizont drückt sich der Dachfirst des alten Louvre-Gemäuers.

So hat es Architekt Ieoh Ming Pei gewollt, so hat es Staatspräsident Mitterrand gewünscht. Die Glaspyramide, transparent, wetterwendig und anpasserisch, stellt die Verbindung von Alt zu Neu und von Neu und Alt her. Das Image des staubigen, muffigen Louvre wird mit Hilfe der wie Bergsteiger arbeitenden Fensterputzer an der Glasfront blankgeputzt.

Sehr bald, wenn das Finanzministerium am 14.Juli ausgezogen sein wird, soll der ganze Louvre nur noch den schönen Künsten geweiht sein. Bis 1997 wird sich der Umbau zum „Großen Louvre“ hinziehen, viele bis jetzt in den Magazinen lagernde Kunstschätze werden damit Ausstellungsraum (doppelt so viel wie bisher) erhalten. Zwölf Säle für die französischen Klassiker des 15.bis 17.Jahrhunderts sind bereits neu gestaltet und bestückt. Auch zeitgenössische Ausstellungen sind geplant.

Im Forum der Pyramide zweigen zwei Eingänge ins eigentliche Museum ab, wobei der eine an den proper freigelegten Grundmauern des Palastes aus dem 13.Jahrhundert vorbei in die Frühabteilung des Museums führt. Kunstbuchhandlung, Postkartenshop, Auditorium und Geschäfte entbinden die Empfangshalle aus ihrer musealen Ichbezogenheit. Keine Angst vor der Kunst, hier ist sie, billig oder edel, jedenfalls käuflich. Und damit dieser Vorort der höheren Künste nicht zu sehr profanisiert wird, hat man dafür gesorgt, daß sich Besucher kaum auf Bänken niederlassen können, ganz sicher nicht auf dem Boden, und auch im Cafe ist allerhöchstens für 50 Personen Platz.

Voll und exklusiv, so wünschen sich die Museumsplaner ihren Louvre. Zumindest der neue Ort verspricht auch die Pariser anzuziehen, von denen es heißt, daß sie nach dem üblichen Pflichtbesuch mit der Schulklasse nie wieder einen Fuß ins erste Nationalmuseum setzen. Nur 31 Prozent aller Besucher des Louvre (3,5 Millionen im Jahr) sind Franzosen. Die ersten Öffnungstage der Pyramide bilden die Ausnahme der Regel für die Hauptstadtbewohner: „Wer in Paris lebt, profitiert nicht von der Stadt. Man hat keine Zeit, ins Museum oder Kino zu gehen. Man arbeitet und sieht gar nichts.“ Nur die verlängerten Öffnungszeiten (9 bis 22 Uhr) können diesem jungen Mann weiterhelfen.

Das neue Bauwerk hat einen Fehler: Es hat Imitate (jüngst konstatierte der 'Spiegel‘ einen „Pyramidenkult“) in nächster Nähe. Drei kleine Baby-Pyramiden bilden wie Maulwurfshügel die äußeren Spitzen der dem Innenhof des Louvre zugekehrten Seiten der Glaspyramide, deren Blendwerk und Spiegeleffekt drumherum durch flache Wasserbassins verstärkt wird. Dahin die Reinheit, das Pure des Glas-gegen -Stein.

So fiel jahrelang Argument gegen Argument. Die Harmonie des historischen Platzes würde zerstört, sagten die einen, die anstehende Modernisierung könne nicht origineller, klassisch moderner und einfügsamer realisiert werden, meinten die anderen. 1984 hatte der Streit um das von den Sozialisten gekürte Pyramiden-Vorhaben von Pei eskaliert. Erst durch Intervention von Bürgermeister Jacques Chirac zugunsten des Mitterrand-Projektes konnte der Krach, der unter anderem zur Kündigung eines 'Le Monde'-Redakteurs führte, beigebogen werden.

Sabine Seifert